Vier Stücke, vier Klaviere – vier Jahreszeiten?

Alexander Melnikov wandelt durch Klangwelten

Melnikov

Er gilt als Experte, wenn es um historische Flügel geht, ohne dabei die (historische) »Informiertheit« zu stark zu betonen. Wichtiger ist ihm die Suche nach der Möglichkeit eines Klanges: Alexander Melnikov.

Die dezidierte Auseinandersetzung mit verschiedenen alten Instrumenten versetzt ihn in die Lage, auf individuelle Gegebenheiten einzugehen, sich anzupassen. So erlebt im Lindensaal Markkleeberg, wo der Pianist – zu seiner Überraschung – einen Bösendorfer-Flügel vom Beginn des Zwanzigsten Jahrhunderts vorfand. Das war Anlaß genug für ihn, darüber zu sinnieren, daß – wenn man sich frage, ob man Bach auf einem modernen Steinway spielen dürfe – die Frage, ob man Schostakowitsch (dessen Präludien und Fugen zum Programm gehörten) auf einem »vor seiner Zeit« gebauten Bösendorfer erklingen könne, vielleicht die interessantere sei. (Übrigens brachte Alexander Melnikov Schostakowitsch dann sehr wohl zum Klingen.)

Damals, 2012, hatte schon einmal Franz Schuberts Wanderer-Phantasie D 760 auf dem Programm gestanden. Sie eröffnet nun den Reigen auf seiner jüngsten CD-Einspielung. Dort allerdings nicht auf einem Bösendorfer gespielt, sondern einem Klavier von Alois Graff, einem Instrument, das zwischen 1828 und 1835 gebaut worden ist. An modernen Flügeln und speziell dem Steinway schätzen Pianisten, daß sie eindeutig reagieren und ihren Klangcharakter über die Tonlagen nicht verändern. Diese Qualität haben historische Klaviere im allgemeinen nicht, aber gerade hier liegt ja auch ein Reiz – wer für diesen Reiz empfänglich ist, wird an der Aufnahme von Alexander Melnikov seine Freude haben.

Franz Schuberts »Wanderer-Phantasie« klingt noch ein wenig stürmischer, eruptiver, als wir dies kennen. Perlend ist der Klang in den hohen Lagen, bekommt immer wieder einen »Glöckchenschimmer«. Dagegen klingen dunklere Passagen geheimnisvoller, verhangener – ein Fakt, den der Pianist nicht nur gekonnt in Szene setzt, sondern offensichtlich selbst genießt – Melnikov geht es sowenig um die historische Korrektheit wie um erzielbare Effekte, er nähert sich den Stücken jeweils vom Notentext aus – und hier speziell auch von dem der Phantasie zugrundeliegenden Lied »Der Wanderer« (D 489). Das ist erfrischend und schließt selbst kleine Nebengeräusche wie ein Scheppern oder ein Klappern der Mechanik – beides leise wahrzunehmen im Adagio-Abschnitt – charmant mit ein.

Etwas wärmer, weicher, romantischer, ausgeglichener, aber mit nicht weniger »Perlen« erklingt der Érard-Flügel von 1837, den Melnikov für die anschließenden Étuden Opus 10 Frédéric Chopins gewählt hat. Während Schuberts Phantasie vor allem der Impuls des Liedes und ein virtuoser, teilweise schroffer (Schicksals-)Impetus innewohnt, führt Chopin den Zuhörer in den Salon, wo er ebenso virtuos begeistert wie schmeichelnd bezaubert. Alexander Melnikov offenbart ein Wechselbad der Gefühle, läßt auf die leichteste Liebeserklärung (dritte Étude, E-Dur) eine furios aufbrausende (cis-Moll) und eine überschäumende Étude (Ges-Dur) folgen. Charme, Wildheit, ein gewisser Mutwillen…

Gerade bei Schubert und Chopin verblüfft die dynamische Bandbreite, welche die Instrumente immer noch offerieren – handelt es sich doch schließlich um restaurierte Originale und keine Kopien! Es ist die Authentizität der Möglichkeit, die so gefangennimmt, denn Melnikov spielt nicht mit dem belehrend erhobenen Zeigefinger, daß es so gewesen sei, sondern vermittelt die Atmosphäre eines Salons oder Konzertzimmers und wie es dort geklungen haben könnte.

Mit Franz Liszts Réminiscences de Don Juan, gespielt auf einem Bösendorfer-Flügel von 1875, wechselt die Perspektive nochmals. Erstaunlich ist der weiche, man möchte beinahe sagen »plüschige« Klang des Flügels, doch der (bzw. der Pianist) enthebt den Zuhörer bald der kuscheligen Salonatmosphäre, denn Liszt hat hier die Stimmen aus Mozarts Oper (unter anderem das Duett »Là ci darem la mamo« mit Don Juan / Zerlina) dramatisch umgesetzt und mit virtuosen Girlanden verziert. Alexander Melnikovs kundige Hände entlocken dem Bösendorfer die Szenen mit großer Lebhaftigkeit, wobei er das dramatische Gewicht absolut beibehält (also auch die Leichtigkeit Zerlinas und die Lebhaftigkeit der »Champagner-Arie«), wie er gleichermaßen technische Bravour besitzt.

Und so gerät man unversehens ins Zwanzigste Jahrhundert zu Igor Strawinskys »Trois mouvements de Pétrouchka« – nun auf einem (fast) neuen Steinway (Modell D, Baujahr 2014). Und auf einmal klingt es gar nicht fade und eintönig, wenn der Pianist den wilden Notentanz entfacht. Hüpfend, perlend, liebkostend gleiten seine Hände über die Tasten, finden auch hier einen Ton, der Atem und Leben einschließt – Leidenschaft! Es scheint, daß, wer sich derart mit Klangerzeugung auseinandersetzt, nicht einfach zurückkehrt zum sterilen »Standard«. Es bleibt einfach mehr – zurück zum Anfang!

Alexander Melnikov »Four Pianos – four Pieces«, Werke von Schubert, Chopin, Liszt und Stravinsky, Harmonia Mundi

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