Elektrisierend?!

Neo Rauch und Waltraud Meier prägen Bayreuther Lohengrin

 

 

Bayreuther Festspiele 2018, Lohengrin, linkes Bild: Brabanter (Chor), oben: das Flugobjekt Schwan, rechtes Bild (von oben): König Heinrich (Georg Zeppenfeld), Ortrud (Waltraud Meier), Lohengrin (Piotr Beczała), Elsa (Anja Harteros), Brabanter (Chor), Photos: Bayreuther Festspiele, © Enrico Nawrath

Die diesjährigen Richard-Wagner-Festspiele in Bayreuth begannen gestern – mitten im höchsten Hochsommer – mit »Lohengrin« in der Regie von Yuval Sharon. Für AufSEHEN sorgte im Vorfeld jedoch vor allem Neo Rauch, der für die Bühnenbilder verantwortlich war. Die Erwartungen waren hoch, vielleicht berechtigter und mit mehr Potential als in manchem der Vorjahre (?). Das Inszenierungsteam stand immerhin seit langem fest, ohne daß jemand abgesprungen war. Bei den Sängern sagte Roberto Alagna allerdings verhältnismäßig kurzfristig ab, weil ihm die Zeit, das Rollendebüt zu erarbeiten, doch zu knapp war – schade. Früher hat man neues Repertoire erst einmal anderswo erarbeitet, bevor man sich damit nach Bayreuth wagte. Das Debüt ist spektakulärer, birgt aber Risiken. Ob wir Alagna, der eigentlich im italienischen und französischen Fach zu Hause ist, später dennoch in Bayreuth oder anderswo mit Wagner erleben, ist abzuwarten.

DAS STÜCK

Muß man »Lohengrin« noch erklären? Die Geschichte des Gralsritters, der kommt, die unschuldig beschuldigte Elsa zu retten, ist eigentlich bekannt – doch nicht alles ist glasklar und eindeutig (oder eindimensional). Denn gerade die Figuren Ortrud und Friedrich von Telramund sind weitaus vielschichtiger als »nur böse«. Der Graf, eben noch verehrt und ein Führer, beschuldigt Elsa des Brudermords, wahrlich kein feiner Zug. Dennoch wäre eine schwarz-weiße Sichtweise etwas simpel. Mit einem Mal ist er, mit Ausnahme einiger Getreuer, von den Brabantern geächtet – oder aus der Mode gekommen? Und auch Lohengrin: der strahlende Held? Der Helfer in der Not? »Helfen« ist eigentlich durch Selbstlosigkeit gekennzeichnet, erwartet keine Gegenleistung oder Entgeltung, höchstens Dank. Doch Lohengrin will Elsa (heiraten), und sie darf nicht einmal fragen, wie er heißt… Solcherlei Betrachtungen eröffnen manche Interpretationsansätze, Yuval Sharon und Neo Rauch fanden eine ganz eigene Lösung.

BÜHNENBILD UND INSZENIERUNG

Und die ist nicht schwarz-weiß. Eigentlich wollten wir hier darauf verzichten, aber überall war vom »blauen« Lohengrin zu hören und zu lesen, selbst Katharina Wagner nahm darauf Bezug. Neo Rauch hat dem ganzen Bühnenbild, den Kostümen und Figuren einen blauen Grundton verpaßt (in Bayreuth liebe- und respektvoll, aber auch mit Augenzwinkern »Rauchblau« genannt), der vom Boden und den Felsen Brabants bis zu den Händen und Haaren der Protagonisten reicht. Nur mit weiß durfte er »aufgemischt« werden, so entstehen passende Schattierungen. Hier zeigt sich der Maler, Künstler und Könner Rauch: es ist eine harmonische Farbkomposition, die sich nicht aufdrängt. Man erblickt das Bühnenbild gerade nicht und stellt fest, daß es blau ist, Lohengrin und König Heinrich kommen nicht daher wie die Blue-Man-Group.

Neo Rauch hat mit seiner Frau eine Märchenwelt geschaffen, die etwas Zauberisches hat, etwas Mythisches, Unbestimmbares neben realen, aber auch surrealen Elementen. Und wenn Rauch dem Blau etwas Orange beifügt, dann entspricht auch das dem Farbschema: Orange ist nicht nur eine »Belebung« oder »Aufregung«, es entspricht dem Komplementär und sorgt damit für Ausgewogenheit, wenn den Schattierungen in blau solche in orange bis rot gegenüberstehen. Die Accessoires ergänzen zunächst hier und da das Bühnenbild oder Elsas Kostüm, nehmen zu, unterstreichen die Spannung. Wenn Elsa ganz in Orange dasteht, hat der Konflikt seinen Höhepunkt erreicht.

Neo Rauch bringt neben der Farbwelt auch seine Sujets mit: Elektrizität, Isolatoren, Zündkerzen, Strommasten mag man aus seinen Bildern kennen, doch sie fügen sich ins Bild und passen zum Thema »Spannungen«. Letztlich scheint das beliebig (Salvador Dalí hätte vermutlich Uhren integriert und die Regie hätte dies auf die Zeit und den Verlauf beziehen können), doch was begeistert ist, daß es eben nicht dominiert, nicht auffällt, nicht für Popeffekte sorgt, sondern – jedes für sich – die Stimmung webt.

Ausnahmen gibt es doch: wenn das grüne Männchen, auch das kennt man von Neo-Rauch-Bildern, am Ende als Gottfried auf die Bühne kommt, wird es dann doch quietschbunt. (Da hätte er auch ein großes Gummibärchen nehmen können.) Statt eines Schwanes gibt es übrigens ein ebenso unbestimmbares Flugobjekt.

Doch sonst passen die Elemente von Neo Rauch und seiner Frau Rosa Loy (sie hat die Kostüme der weiblichen Figuren kreiert, er die der männlichen), fügen sich zu einer Märchenwelt, mit Mensch-Insekten, die Flügel tragen (oder auf den Kleidern haben). Wenn Lohengrin im Zweikampf Telramund schlägt, reißt er ihm einen Flügel aus, der zur Trophäe wird und den Grafen flug- also handlungsunfähig zurückläßt.

Im zweiten Akt sorgen Gaze und halbdurchsichtige Vorhänge für Bühnenzauber, denn sie erlauben nicht nur das geheimnisvolle Auftauchen von Personen (Telramund), sondern unterstreichen das Schemenhafte, Unfaßbare.

Daß das Bild-Konzept trägt, zeigt sich im letzten Bild: hier taucht das Häuschen aus dem zweiten Akt wieder auf. Man sieht: es ist kein Turm, sondern ein Transformator-Häuschen, und doch wird Lohengrin nicht banal zum Hochspannungselektriker. Hier flammt – nur kurz – die Poesie des Paares auf, wenn sich Elsa und Lohengrin ihre Verse gegenseitig vorlesen.

Damit kann die Regie nicht ganz mithalten. Überhaupt scheint sie hintanzustehen, ordnet sich der Musik und dem Bühnenbild unter. Yuval Sharon fällt weniger durch Provokation auf noch begreift er die Inszenierung als Projektionsfläche seiner Ideen, das ist lobenswert, etwas mehr hätte man sich doch gewünscht. Solange die Suggestionskraft der Bilder bestimmend ist, funktioniert das Konzept, doch dann, wenn die Regie in Aktion treten müßte, tut sie es manchmal nicht oder kann die Höhe nicht halten. Wie beim Luftkampf von Lohengrin und Telramund, der eher komisch als gekonnt aussieht.

DIE AUFFÜHRUNG

Es war das erwartete Musikfest mit einer erstklassigen Sängerriege (auch das konnte man in den vergangenen Jahren in Bayreuth nicht immer so erleben). Piotr Beczała ist es gelungen, innerhalb dreier Wochen »seinen« Lohengrin (den er 2016 mit Christian Thielemann in Dresden erarbeitet hat) aufzufrischen und mit dem Inszenierungsteam (Christian Thielemann dürfte hier einiges beigetragen haben) bruchlos in die Produktion einzufügen. Ein zweifelnder, am Ende verzweifelnder Held, der maßvoll strahlt, solange er einen Brustpanzer trägt (den legt er im Schlafgemach ab). Anja Harteros hat in den letzten Jahren die Rolle der Elsa vorsichtig weiterentwickelt, gibt ihr (wie über den Verlauf des Abends) mehr Charakter, mehr Frau, mehr Zweifel und Selbstbewußtsein. Was ihren Rollen versagt bleibt – ein ungetrübter Glanz – bieten Harteros und Beczała stimmlich – ein Traum! Und doch werden sie an diesem Premierenabend noch überragt von Waltraud Meier, die als Ortrud nach 18 Jahren nach Bayreuth zurückkehrt. Ein triumphaler Auftritt, der (leider !!!) schon der letzte sein wird, denn die dramatische (Mezzo-)Sopranistin ist nur in diesem Jahr noch in der Rolle zu erleben – es wird ihr selbstgewählter Abschied von Bayreuth. Wie groß der Verlust sein wird (bzw. die Fußstapfen für ihre Nachfolgerin) wissen wir nun: riesig. Daß Ortrud nicht allein die böse Intrigantin ist, haben schon viele erkannt. Sie aber so überzeugend, ambivalent, kraftvoll und machtbewußt darzustellen, sorgte für die größten Gänsehauteffekte an diesem Abend – einfach phantastisch! Hinsichtlich der Ambivalenz und Vielschichtigkeit überzeugte nicht minder Tomasz Konieczny als Friedrich von Telramund. Natürlich nimmt man ihm die (falsche) Anschuldigung übel, natürlich ist er insofern schwach, daß er sich manipulieren läßt, aber wenn Tomasz Konieczny ihn zurückkehren läßt, wenn Telramund beginnt, Fragen und Lohengrin in Zweifel zu stellen, kann man ihm im Grunde nur Recht geben. Zwar ein gefallener Held, bleibt er ein Kämpfer. Und im Gegensatz zu vielen, die über ihn richten und ihn verstoßen, hat er Erfahrungen gemacht, kennt »die andere Seite« (der Medaille oder der Wahrheit).

Zwischen allen König Heinrich: Georg Zeppenfeld (ohne den Bayreuth praktisch nicht mehr denkbar ist), der wiederum nicht nur stimmlich betörend einnimmt, sondern der mit einem Minimum an Gesten und Mimik große Effekte erreicht. Zweifel muß er nicht aussprechen, ein Fingerzeig, ein leichtes Heben des Kopfes schon deuten es an. Eine leichte Neigung der Schulter genügt, um zum Helden zu erklären oder zu verdammen.

Christian Thielemann legt dem ganzen einen musikalischen Mantel um, welcher sich um jede Person und jeden Strommast schließt, womit er Stimmung und Spannung schafft und auflöst.

DIE KINOÜBERTRAGUNG

Wie in den letzten Jahren gab es die Bayreuth-Premiere im Kino zu sehen (in diesem Fall im Cineplex »Rundkino« Dresden). So folgte man dem Geschehen auf der Bühne mit großer Nähe, die Bildregie ist in den letzten Jahren besser geworden. Es gab deutlich mehr Gesamtbilder als noch in manchem Vorjahr, was nicht nur für den besseren Überblick sorgt, sondern auch mehr Bühnenatmosphäre überträgt. Nahaufnahmen gab es natürlich dennoch, manchmal zu nah oder zu knapp im Ausschnitt (wenn nur der Sänger im Bild war, die Szene aber einen Widerpart mit einbezog). Insgesamt aber hatte der Kinobesucher (bzw. derjenige, der nicht nach Bayreuth fahren konnte) durch die große Leinwand einen erheblichen Gewinn, auch wenn sich die Festspielakustik letztlich nicht übertragen läßt, weder was das Besondere angeht noch wie es musikalisch tatsächlich vor Ort wirkt.

Wie immer gab es ein Vor- und Pausenprogramm. Vor allem standen die Beteiligten im Mittelpunkt, eine »Galerie« gab es dagegen nicht bzw. kaum. Nur Bayerns Ministerpräsident Markus Söder interviewte Axel Brüggemann – gewohnt leutselig in der ersten Pause – und bekam eine nur wenig versteckte »Watschn« für den Auftritt im Hemd und ohne Sakko oder Frackjacke. Tja, formvollendet korrekt ist wohl etwas anderes… (Dabei böte der Ministerpräsident doch auch den einen oder anderen »Formpunkt« für eine Revanche.)

Dafür ist Brüggemann immer nah dran, beim Maskenbildner ebenso wie an den Sängern: die Gespräche mit Waltraud Meier und Tomasz Konieczny waren erfreulich interessant und frisch. Und auch das ist ein Vorteil der Nähe: Christian Thielemann beim Applaus, der sich – sichtlich geschafft, aber auch glücklich – verbeugt.

26. Juli 2017, Wolfram Quellmalz

Wer keine Karten für eine der folgenden vier Aufführungen von »Lohengrin« hat, dem sei die Aufzeichnung am kommenden Sonnabend, 28. Juli) ab 20:15 Uhr bis 0:15 Uhr auf 3sat empfohlen.

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