Zwischenwelten

Juanjo Mena und Piotr Anderszewski zu Gast im Gewandhaus zu Leipzig

Ursprünglich hatte es ein »B-Programm« mit den Komponisten Bartók und Brahms werden sollen, doch nach der krankheitsbedingten Absage Paavo Järvis gab es zumindest eine kleine Änderung. Der spanische Dirigent Juanjo Mena war kurzfristig eingesprungen und feierte so sein Debüt beim Gewandhausorchester. Die beiden Hauptwerke des Abends, Béla Bartóks Klavierkonzert Nr. 3 sowie die erste Sinfonie Johannes Brahms‘, blieben im Programm, nur die für den Anfang geplante Suite hatte der Dirigent durch Joseph Haydns Sinfonie e-Moll Ho. I:44 ersetzt.

Der Name »Trauer-Sinfonie« ist stark mit Legende behaftet und sollte vielleicht lieber nicht verwendet werden, um keine falschen Schlüsse hinsichtlich der Entstehung sowie Erwartungen bei der Aufführung zu wecken. Juanjo Mena jedenfalls, der sich im weiteren Verlauf noch als Zeichner von Tongemälden betätigen sollte, zeigte hier schon sein Interesse an Farben und Stimmungen, Zwischentönen. Er versteht es, einen Moment der Schwebung zu erzeugen und mit Atem, nicht atemlos zu phrasieren. Freilich hört man Haydn heute meist anders – historisch informiert oder daraus »entsprungen«, also knackiger, spritziger, akzentuierter. Insofern überraschte die Interpretation Menas etwas, die sehr weich und romantisch geriet und trotz kleiner Besetzung Klarheit vermissen ließ. Immerhin aber gibt es vieler orten Tendenzen, wieder an die romantisch geprägten Aufführungen früherer Jahre anzuschließen (gut nachzuvollziehen spätestens in der Weihnachtszeit in den -zig Lesarten des Weihnachtsoratoriums). Und: Menas Atem verhindert die übereilte Hatz, mit der Haydn heute oft als Hors d’Œuvre präsentiert wird.

Der Rückblick auf die Tradition in Verbindung mit dem Willen, daraus neues zu schöpfen, stellt Musiker wie Zuhörer manchmal vor das Problem, nicht klar ausmachen zu können, wohin ein Werk nun gehört. Béla Bartók hat diesen Gegensatz bewußt in seinem Klavierkonzert Sz119 verarbeitet, das ebenso den Rückgriff auf die Tradition des Chorals einschließt wie es »Farbzitate« enthält. Dennoch blieb am Donnerstagabend unklar, wohin sich das Werk bzw. der Interpret wenden möchte. Piotr Anderszewski ist ebenso ein Farbzauberer, weshalb die Partnerschaft mit Juanjo Mena wohl gegeben war. Der Gegensatz von Impression und Expression ließ dennoch manche Spannung missen, zumindest im Ganzen. Verfolgte man die Sequenzen und Partikel, so fanden sich darin immer wieder berückende Momente, da der Pianist mit seinem zauberischen Ton geradezu pittoreske Gebilde formen kann, seine kraftvollen Einsätze wurden durch schroffe Bläser erwidert, seine Kadenz steigerte er eindrucksvoll, Mena führte sie in die Cluster des Orchesters über. Der Dirigent fand in diesen Gegensätzen immer wieder Klanginseln, so konnte man den (zerlegten) Choral verschiedentlich verfolgen.

Nach dem furiosen Finale gab es viel Beifall und Jubel, für den sich Piotr Anderszewski mit Ludwig van Beethovens später Bagatelle Opus 126 Nr. 1 (Andante con moto cantabile e compiacevole) bedankte. Der traumverlorene Anschlag des Pianisten ist eine große Verführung, gerade bei Robert Schumann. Hier allerdings hätte sich mancher mehr klare Struktur gewünscht.

Mit Johannes Brahms‘ erster Sinfonie kehrte noch einmal ein Choral in den Saal zurück (den der Flötenspieler vor dem Gewandhaus nach dem Konzert aufgriff). Üppig und reich wie eine Alpensinfonie schöpfte Juanjo Mena hier aus den Orchesterfarben des riesigen Klangkörpers (allein schon die kantable Oboe war fabelhaft!). Typisch für Mena ist, daß er für seine »Palette« nicht die Durchhörbarkeit aufgibt – will heißen: feine Details für Entdecker und »Erwarter« gab es zuhauf, nicht erst im vierten Satz. Wie schon bei Haydn blieb der Dirigent in seinem Tempo gemäßigt. Dabei ergaben sich interessante Kontraste: an das einnehmend stürmische Allegro am Ende des ersten Satzes schloß sich ein bedächtiges, fast larmoyantes Andante an, dessen sostenuto Mena erst noch formte. Federleicht begann der dritte Satz, aus dem er die Lebenslust des Finales ableitete – für Behäbigkeit blieb da keine Zeit.

15. März 2019, Wolfram Quellmalz

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