Jörg Widmann beendet Projektwoche an der Dresdner Musikhochschule mit einem Gesprächskonzert
Es ist immer wieder belebend und erfrischend, einem zeitgenössischen Komponisten zu begegnen, vor allem, wenn er inspirierend und nachhaltig wirkt. In dieser Woche hatten Studenten und Besucher der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber in Dresden Gelegenheit, Jörg Widmann zu begegnen. Und dieser stellte im Gespräch unter anderem heraus, daß er Weber – noch vor Wagner – für dessen Kunst verehre. Weber sei unter anderem ein Meister der Instrumentation gewesen, wie Widmann schon als Kind fühlte (und bis heute fühle), als er zum ersten Mal den »Freischütz« und die beängstigende Wolfsschluchtszene erlebte.
Wir hatten schon einige Male die Gelegenheit (und stets das Vergnügen!), Werke von Jörg Widmann zu hören und zu rezensieren. Die besondere Lebendigkeit und Faszination rührt, das konnten die Besucher seines Workshops am Mittwoch feststellen, daher, daß der Komponist ein phänomenaler Impulsgeber ist, den vor allem eines antreibt: die Neugier. Und dies läßt sich – ob nun analysiert, tiefempfunden oder schlicht kontemplativ erfahren – in all seinen Stücken wiederfinden, die von Impulsen, Reflexen, geprägt sind. Widmann gibt selbst zu, daß es ihm nicht liegt, mit einem prägnanten Akkord »Hier bin ich!« aufzutreten. Und so beginnen viele seiner Stücke sachte, leise, oder mit einem akustischen Ereignis. Das kann durchaus das Schlagen eines Klavierdeckels sein, aber auch ein Klopfen auf den Korpus der Geige, ein kratziges Suchen nach dem Ton. Genau das nimmt so ein: es scheint, als würde kein tonal übersetztes Gefühl oder Wort auf dem Instrument erzeugt, vielmehr ist der Zuhörer, die Zuhörerin einbezogen in das Suchen nach einem Ausdruck, einer Stimmung, Atomsphäre. (Demzufolge werden viele Stücke Jörg Widmanns zu individuellen Aufführungsereignissen.)
Am Mittwochabend konnte sich dann eine interessierte Schar von Zuhörern durch Empfinden und Erfahren von dem überzeugen (oder es einfach erleben), was zuvor in den Workshops besprochen, diskutiert und erarbeitet worden war. Dazu zählt, daß der Komponist den Klangraum mit seinen Werken oft erforscht und erschließt und den Interpreten dabei mit einbezieht, ihn quasi zum Instrument macht. Die Étuden II und III für Violine solo, von Thomas Westbrooke und Naoko Fujita vorgetragen, zeugten ebenso davon wie »Schallrohr« mit Paulina Bielarczyk (Sopran) und Kei Sugaya (Klavier). Verblüffend ist schon, wie Jörg Widmann die Gattungsbezeichnungen »Sopran«, »Klavier« oder »Violine« aufhebt oder zumindest deren Grenzen erweitert. Denn er bezieht technische Ergänzungen über das normale »bedienen« hinaus mit ein. So wurde auch Paulina Bielarczyk mittels eines tatsächlich physisch vorhandenen Schallrohrs zum Instrument.
Nun könnte man ganz nüchtern feststellen, daß das andere ebenso machen, daß eigentlich jeder ernsthafte zeitgenössische Komponist Grenzen auslotet, neues sucht – stimmt, richtig, ja, das trifft zu. Das Verblüffende bei Jörg Widmann ist, daß er nicht nur die Spieler, sondern auch seine Zuhörer mit den Impulsen ansteckt. Wo andere im Status eines Klangexperiments avantgardistisch fordern und oft vor allem den Intellekt ansprechen, ist Widmann stets fühlbar lebendig – eben ein Impulsgeber.
Mit »Freie Stücke«, das mit einem flageolettinen Glitzern beginnt und stetig wächst und sich wandelt, fand ein kurzweiliger, anregender Abend ein spannendes Ende und entließ das um Hörerfahrungen bereicherte Publikum. Da hätte mancher »noch mehr Widmann« vertragen – von der Musik ebenso wie von dem für die Musik »brennenden« Menschen und Gesprächspartner. Der zeigte sich dankbar und langweilte auch nicht mit Theorien, sondern wußte vieles von seinen Erfahrungen dankbar zu vermitteln, ob dies nun die Begegnung mit Lehrern wie Hans Werner Henze oder die familiäre Situation mit der Schwester und Violinistin Caroline betraf.
Man sollte sich also den 3. Mai vormerken, denn dann wird es einen Abend mit Stücken von Kompositionsstudenten geben, welche nach dem Workshop mit Jörg Widmann entstanden sind. Und vielleicht kehrt Jörg Widmann ja einmal nach Dresden zurück, nicht »nur« an die Musikhochschule, sondern mit einer Residenz bei einem der beiden großen Orchester …?
18. April 2019, Wolfram Quellmalz
Tip: Am 3. Mai gibt es 19:30 Uhr ein Konzert zum Workshop Komposition »Neues für Klarinette« im Konzertsaal der Musikhochschule Dresden: https://www.hfmdd.de/veranstaltungen/727-workshopkonzert-komposition/