Belcea Quartett im Palais im Großen Garten
Es ist einer der geheimnisvollsten und (trotz des unfertigen Zustandes) schönsten, der akustisch besten und bei Musikfreunden beliebtesten Orte der Dresdner Musikfestspiele: das Palais im Großen Garten. Traumhaft ruhig gelegen zwischen Parkanlagen (daher aber nur fußläufig zu erreichen) offenbart der Festsaal einen Blick auf die Sichtachsen des Barockgartens, gleichzeitig wird man für Quartett- oder Liederabende kaum etwas Besseres in Dresden finden. (Gleiches gilt selbstredend für Matinéen.)
Heute vormittag nun fand hier ein Abschluß der Dresdner Musikfestspiele statt, zumindest des klassischen Programms (später am Tag folgten weitere Veranstaltungen, darunter das offizielle Abschlußkonzert mit Eric Clapton und Band).
Corina Belcea (1. Violine), Axel Schacher (2. Violine), Krysztof Chorzelski (Viola) und Antoine Lederlin (Violoncello), die gerne zwischen Klassik, Romantik und Zeitgenössischem wandeln (György Ligeti krönt eine ihrer CDs), hatten für ihre Matinée zwei »gleichwertige« Konzerthälften mit jeweils einem Quartett Joseph Haydns und Leoš Janáčeks auf den Notenpulten, wobei das »Quintenquartett« (d-Moll, Hob III:76) am Anfang stand. Und hier machten die Belceas sofort klar, wie ernst sie ihr Fach, die Werke und dieses Quartett nehmen: mit unmißverständlicher Verve, aber erfrischend federnd eröffnete das Allegro einen großartigen Vormittag. Die erste Violine durfte dabei sehr deutlich die erste Geige spielen, was Antoine Lederlin aber nicht davon abhielt, sein Cello fast schwerelos durchscheinen zu lassen. Immer wieder hatte Haydn mit der Kombination eines »Soloinstrumentes« (Violine oder Violoncello) und einem Trio der übrigen Streicher gespielte.
Daß das Belcea Quartett tief in die Werke vordringt, fühlten die Zuhörer – das Adagio offenbarte allerhöchsten Liebreiz, jedoch nicht süßen, sondern mit Gänsehauteffekt! Den frischen Wind des Vivace assai konnte man auch nach der Pause im Quartett C-Dur Hob III / 41 spüren, dessen sachte, quasi »indirekte« Einleitung über angedeutete Akkorde, die in eine Kadenz münden, zauberisch klangen. Ob synkopische Betonungen, bedenkliche Zurücknahme oder beschwingte Ausgelassenheit – es war ein gediegener Reigen der Angemessenheit und Blumenfrische.
Leoš Janáček hatte seinen Quartetten nicht einfach einen romantischen oder slawischen Melos eingepflanzt, sondern seine Gedanken um ein Thema kreisen lassen – die »Kreuzersonate« (Tolstois Buch) bzw. »Intime Briefe« – eine Botschaft (oder wirklich ein Liebesbrief?) an Kamila Stösslová, die geliebte Frau. Die Sätze der »Kreuzersonate« enthalten alle einen Con-moto-Teil (»bewegt«) – da heißt es, (selbst) nicht zu bewegt zu sein, wenn man spielt. Gerade hier zeigte sich eine Qualität des Belcea Quartetts: im Maß der Leidenschaft, der Hingabe und Liebe können sie ein Feuer entfachen, ohne »triefig« oder rührig zu werden (und zu langweilen). So wurde innere Wehmut spürbar, kratzige Einwürfe rauhten das Quartett effektvoll auf, die Viola band schließlich die Stimmen wieder und sorgte für Versöhnung.
In den »Intimen Briefe« wiederum fanden die Vier nicht nur Liebesschwüre, sondern legten Zweifel offen, zur Forderung gesteigerte Wünsche. Das Werk enthält eben viel mehr als zärtliches Säuseln, nein – »Süßholz raspeln« ist nicht Sache der Belceas, das merkte man spätestens im zweiten Satz, wo die Bögen einmal ordentlich krachten. Und dennoch ging dem Quartett nie die Gediegenheit verloren.
Die Bitte um eine Zugabe beantworteten Corina Belcea, Axel Schacher, Krysztof Chorzelski und Antoine Lederlin mit dem Lento assai e cantante tranquillo aus Ludwig van Beethovens Quartett F-Dur Opus 135 – eine angemessene Verabschiedung und ein gut gewählter Schlußpunkt.
10. Juni 2019, Wolfram Quellmalz