Hinter jeder Note lauert eine Überraschung

»Bagatellen« mit Herbert Schuch

Er ist bei weitem nicht der Erste, der klassische und zeitgenössische Werke ineinander verschränkt, der Pianist Herbert Schuch. Und doch kann man eben keine beliebige Folge oder Gegenüberstellung schaffen, wenn man beispielsweise allein Bach und Schleiermacher zusammenfaßte.

Herbert Schuch hat sich für den 2006 verstorbenen György Ligeti und Ludwig van Beethoven entschieden. Elf Stücke umfaßt Ligetis Musica Ricercata (was – genaugenommen – mit einer Entstehungszeit zwischen 1951 und 53 nicht wirklich »zeitgenössisch« ist), ebenso wie Beethovens Bagatellen Opus 119. Die minimalistischen Strukturen erlauben es nicht, das kleinste Detail zu übersehen, wie Christoph Vratz im Beiheft meint, und tatsächlich ist es gerade dieses Ringen um Genauigkeit und Balance, was zählt. Es ist Herbert Schuch gelungen – offenbar mit Leichtigkeit.

Der Pianist, der schon immer Kompositionen unterschiedlicher Epochen gegenüberstellt (etwa Schubert und Janáček oder Beethoven und Ullman), hat auch hier nicht experimentiert oder vom Schreibtisch aus entschieden, sondern das Konzept in Konzerten erprobt, reifen lassen – eine Reife, die man der CD anmerkt.

Klare Akzente, schwere Betonungen, die einen Fokus setzen, spürt man vor allem bei Ligeti, während Beethovens »Kleinigkeiten« einerseits von graziler Leichtfüßigkeit sind, gleichzeitig aber in eine oder zwei Minuten einen ganzen Kosmos einschließen können. Vor allem aber zeigen sie die humanistische Seite Beethovens, seinen leichten, geistreichen Humor – noch ein Punkt, in dem sich beide Kompositen treffen, denn auch Ligeti war kein »Provokateur« im negativen Sinne, sondern einer, der über seine Zeit hinausging, der anregte, weiter sah, ein humorvoller Experimentator. Hier wird ausgerechnet der Revolutionär Beethoven zu seinem Besänftiger!

Oder sind es Esprit und Impetus, die beide verbinden? Ein geistvolles Augenzwinkern? Obwohl sich Ligeti nicht direkt auf Beethoven bezieht, scheinen seine Stücke dennoch mitunter wie ein Reflex auf dessen Ideen. Damit gelingt eine interessante Gegenüberstellung, auch wenn Herbert Schuch bemerkt, daß ihm bewußt sei, den Bagatellen, indem er sie auseinanderreißt, Gewalt anzutun. Doch zeigen Beispiele – gerade aus dem Konzert –, daß vollständig gespielten Bagatellen mitunter die Spannung abhanden kommt. Die »Kleinigkeiten« dürfen – mit dem Wohlwollen der Komponisten – einzeln gespielt werden, warum also nicht so kombinieren?

Und wer es doch »kompakt« mag, der kann seinen CD-Spieler entsprechend programmieren. Im Anschluß an den Dialog Beethoven-Ligeti gibt es darüber hinaus noch die sechs Bagatellen Opus 124 von Ludwig van Beethoven en Suite.

2. Juli 2019, Wolfram Quellmalz

Schuch CAvi
Herbert Schuch (Klavier) »Bagatellen«, Beethoven, Ligeti, Avi-Music / Co-Produktion mit dem Bayerischen Rundfunk (BR Klassik)

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