Clara, die Unfaßbare

Sächsisches Vocalensemble in der Loschwitzer Kirche

Unweit des ehemaligen Wohnhauses von Vater Wieck, in der Loschwitzer Kirche, erklang am Freitagabend zur Eröffnung des Elbhangfestes ein Konzert, das im Zeichen noch eines anderen Festes stand: des 200. Geburtstages von Clara Schumann. Die Robert-Schumann-Ehrung, die mittlerweile zehnte, welche Matthias Jung und sein Sächsisches Vocalensemble alljährlich in den Junitagen ausrichten, steht diesmal ganz im Zeichen der Ehefrau, Komponistin und Pianistin und wird im September (um den Hochzeitstag der Schumanns) noch eine Fortsetzung finden.

Die Romantik war auch eine Blütezeit der Chöre und Gesangsvereine. Viele namhafte Komponisten trugen nicht nur zu ihrem Œuvre bei, sondern traten als deren Leiter auf – Johannes Brahms war Chormeister der Wiener Singakademie, Robert Schumann hatte die Dresdner Liedertafel übernommen. Das Programm von Matthias Jung reichte von (artifiziell verarbeiteten) Volks- über Kunstlieder bis zu einer Uraufführung.

Vier der »Sechs Lieder im Freien zu singen« Opus 41 von Felix Mendelssohns hatte er an den Anfang gesetzt. »Entflieh mit mir«, »Es fiel ein Reif« sowie »Auf ihrem Grab«, vor allem von den hellen Frauenstimmen bestimmt, hatte Jung als Einheit gelassen, »Auf dem See« war deutlich von der großen Homogenität getragen. Besonders kunstvoll sind die musikalischen Bezüge und Verschlingungen in Robert Schumanns Romanzen und Balladen Opus 67. Mit den Text tragenden, von den übrigen Stimmen umschlossenen Sopranen erklang das »Heideröslein«. Balladen leben aber auch nicht zuletzt vom dramaturgischen Verlauf. Manche wohlgesetzte Betonung (die »Lebensglut« in »Der König von Thule«) wirkte jedoch noch etwas zu durchdacht. Doch schon das »Ungewitter« ließ der Chor vielschichtig dräuen, hatte nun zu seiner Höchstform gefunden.

Schließlich standen sich Clara Schumann (drei Lieder nach Gedichten von Emanuel Geibel) und Johannes Brahms gegenüber, wobei die Komponistin vor allem mit schwebender Innigkeit (»Abendfeier in Venedig«) bezauberte. Den Abend beschrieb sie in »Gondoliera« phantasievoll und einfühlsam, während der Chor mit Johannes Brahms »Abendständchen« oder »Waldesnacht« zentrale Sujets der Romantik vollendet präsentierte.

Als programmierter Höhepunkt wurde schließlich die Kantate »CLARA!« von Ludger Vollmer nach einem Libretto Ulrike Schumanns uraufgeführt. Doch so wie man die Reduktion auf den Vornamen als Vereinnahmung empfinden kann, befremdete der mehrfache Bezug von Komponist und Librettistin auf die Rolle der »Geliebten«. Gerade der Text konnte mit der indiskreten Andeutung über das Verhältnis von Clara Schumann und Johannes Brahms (wo man sich sonst mit dem Nichtwissen zufriedengibt) oder mit solch »unzeitgemäßer« Kategorie wie »Patchworkkind« nicht überzeugen, schien unangemessen zudringlich – die Person Clara Schumanns ist letztlich für uns schwer faßbar (was Ulrike Schumann dennoch resümiert: »Clara, was bleibt?«).

Ludger Vollmer hatte aus Clara Schumanns Stücken zitiert, Reflexe gesetzt und Brüche gestaltet. Dafür war das Sächsische Vocalensemble um die Dresdner Kapellsolisten sowie Annekatrin Laabs (Alt) und Henryk Böhm (Bariton) erweitert worden. Eine »Kantate«? Ein vielschichtiges Wort-und-Musikwerk, bei dem Chor und Solisten ebenso Sprechtexte übernommen hatten. »CLARA!« erwies sich als effektvolles, pointiertes Stück, ließ im Ganzen aber manche Fragen oder Lücken offen.

29. Juni 2019, Wolfram Quellmalz

Am 6. (Ragna Schirmer im Coselpalais) und 14. September (Geburtstagsfets mit drei Stationen in Loschwitz) folgt ein zweiter Teil der Geburtstagsfeier (weitere Informationen unter: http://www.saechsisches-vocalensemble.de/).

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