La Tempêta verschränken zwei Werke Heinrich Schütz‘ und Johann Hermann Scheins
»etwas neues herfürzubringen«, wie das Heinrich Schütz Musikfest in diesem Jahr titelt, kann auch anregen, neue Sichtweisen zu gewinnen, gewohnte Standpunkte zu verlassen, um neue Perspektiven zu gewinnen. So erlebte das Publikum in der Frauenkirche die Deutschlandpremiere des französischen Ensembles La Tempête. Sein Leiter Simon-Pierre Bestion hat schon für ein CD-Projekt »Tränen der Auferstehung« 21 Titel aus zwei Werken zusammengefügt: Heinrich Schütz‘ »Historia der Auferstehung Christi« (SWV 50) war ebenso wie Johann Hermann Scheins »Israelis Brünnlein« 1623 in Dresden entstanden. Für eine dramaturgisch vertiefte Wirkung hatte Bestion die leicht gekürzte »Historia« um Teile aus dem »Israelis Brünnlein« ergänzt und darüber hinaus den Part des Evangelisten einem Sänger der byzantinischen Tradition übertragen, der die Texte in einer »orientalischen« Erzählweise vortrug.
Natürlich ist das nicht »original«. Beide Werke verlieren so an Konzentration, dabei fordert das durch die Kombination gewachsene Werk den Zuhörer bedeutend mehr. Die Evangelistentexte (Georges Abdallah) wirkten besonders eindringlich, allerdings auch deutlich länger als gewohnt, wenn sie »nur« die Handlung erzählen. Neben der Tonalität fielen manche Tonsprünge auf, melismatische Dehnungen, die sich für den Zuhörer nicht immer leicht zuordnen ließen. Und gerade das »Israelis Brünnlein« ging als Werk in der übergeordneten Historia unter, da der konzise Aufbau nicht mehr wahrnehmbar war.
Auf der anderen Seite gibt es aber keine »Originalitätspflicht«, und wer sich einließ, konnte eine neue Hörerfahrung machen. Vor allem stellte sich die vom Dirigenten gewünschte hypnotische Wirkung ein, weil immer wieder verblüffende oder sinnliche Klangeffekte auszumachen waren, die teils in den Werken lagen, etwa weil Heinrich Schütz die Partien Jesus‘, Maria Magdalenas oder des Jünglings mit Duos besetzt hatte, aber ebenso in der Instrumentierung. Auch hier brach Bestion mit dem Original, hatte nicht nur Bläser hinzugefügt, sondern setzte Violinen und Gamben ein, um den Klang noch weiter zu differenzieren. Das Ergebnis konnte begeistern und gab zu Diskussionen Anlaß – wann wollte man solche »Experimente« unternehmen, wenn nicht in einem Musikfest? Als gelungen kann man das Experiment insofern werten, weil der Text und die Botschaft der Werke nicht einfach für »schönen Klang« oder »schöne Musik« geopfert wurden, auch waren diese »Tränen« mehr als nur komplentativ, eine sinnige Anregung.
13. Oktober 2019, Wolfram Quellmalz
CD-Tip: Heinrich Schütz »Historia der Auferstehung Christi« SWV 50, Johann Hermann Schein »Israelis Brünnlein« (Auszüge), La Tempête, Simon-Pierre Bestion (erschienen bei Alpha)