Gedenkkonzert des Dresdner Kammerchores in der Annenkirche
Wie in den letzten Jahren gestaltete Hans-Christoph Rademann mit seinem Dresdner Kammerchor ein November- und Gedenkkonzert mit Bezug auf die Reichspogromnacht 1938. Dabei bedeutete das groß auf dem Programm prangende Wort »Klage« aber weder (nur) eine Anklage, noch meinte es das Jammern allein. Das Erinnern und Beklagen von (zugefügtem) Leid und (erlittenem) Verlust schließt im christlichen wie im jüdischen Glauben immer eine Zuwendung, eine Zuversicht und Hoffnung mit ein. Das sagen Worte, Komponisten wie Salomone Rossi, Heinrich Kaminski oder Heinrich Schütz haben dies ihren Werken auch musikalisch eingeschrieben. Mit Herman Berlinski (1910 bis 2001) hatte den Kammerchor eine enge Zusammenarbeit und Freundschaft verbunden, und so stand erneut eines seiner Werke auf dem Programm: »A Psalm of Unity« schloß als deutsche Erstaufführung den Abend ab.
Natürlich habe der Kammerchor bzw. seine Generation keine »Schuld« an Ereignissen wie den Pogromnächten, aber das bedeute ja nicht, daß die Menschen heute keine Verantwortung mehr trügen. In diesem Sinne hatte sich nicht nur Berlinski einst geäußert, es entspricht auch dem Verständnis und der Kultur des Erinnerns in den Konzerten des Dresdner Kammerchores.
Mit Salomone Rossis »Shir hama’alot« (Ein Wallfahrtslied) griff er am Beginn eine hebräische Psalmvertonung auf, die das Ziel, eine helle und heitere Zukunft, bereits helltönend aussprach. Di Lassos Klagelieder aus den »Lamentationes Jeremiae«, in drei Einheiten zwischen Titel von Schütz, Kaminski und Felix Mendelssohn (»Mitten wir im Leben sind«) gesetzt, fügten dem Beklagen ein Moment des Innehaltens und Verharrens, des Besinnens hinzu. In Heinrich Schütz‘ Werken vollzog sich dagegen ein mit entsprechendem Affekt angezeigter Wandel: »An den Wassern zu Babel« (SWV 37) beginnt mit weinendem Klagen und steigerte sich bis in grausames »Zerschmettern«, dem noch auf dem vertonten »Stein« sogleich eindrucksvoll die Gotteszuversicht (und die Gewißheit dessen Gerichtes) folgt. Kaum weniger effektvoll, fast theatralisch, geriet Schütz‘ »Aus der Tiefe ruf ich, Herr, zu dir«. In Heinrich Kaminskis zuvor erklungener Vertonung des gleichen Textes fielen Deutung und Gestaltung mit der wiederholten Anrufung »Herr« noch drastischer, plastischer aus. Hier ließ sich die Dringlichkeit erkennen, daß der Rufende erhört werden wollte – vielleicht ein Zeichen, wie Kaminski seine Zeit (das Werk ist 1912 geschrieben) wahrnahm.
Sowenig die »Klage« des Programms nur ein Beklagen war, sowenig beschränkte sich der Kammerchor auf homogenen Schönklang allein, wobei ihn dieser zuverlässig auszeichnet. Doch was wirklich beeindruckte und letztlich berührte war die Gestaltung, die nicht allein gegenüberstellt und sich auf Kontrastwirkungen verließ, sondern die Nahbarkeit der Textvermittlung erreichte. Wortverständlichkeit war dabei selbstverständlich.
Nach der auch räumlich nahen Wirkung (Altarraum) von Psalmvertonungen und Klageliedern versammelte sich der Chor für Berlinskis Psalm der Einigkeit auf der Orgelempore. Michael Käppler, der zuvor bei Schütz an der Truhenorgel begleitet hatte, trug am großen Instrument von Julius Jahn & Sohn mit ausgesprochen expressiver Klanggestaltung zum Werk bei, das die Einigkeit aus einer Vielgestalt (Chor und Soli) schuf, terrassenförmige Steigerungen in sich trägt und zur kraftvollen Aussage führte. Wer die Klage hört, etwas – sich – ändert, kann Zukunft gestalten.
17. November 2019, Wolfram Quellmalz
Nächstes Konzert des Dresdner Kammerchores: 13. Dezember, 19:30 Uhr, Annenkirche Dresden, Weihnachtskonzert
Den Dresdner Kammerchor kann man auch bei öffentlichen Proben und im Radio erleben. Weitere Informationen unter: https://www.dresdner-kammerchor.de/