»San Giovanni Battista« mit dem Collegium 1704
Die Figur Johannes des Täufers (Jochanan Mamdana), von dem bereits der jüdische Geschichtsschreiber Flavius Josephus berichtete, ist zwar historisch nicht gesichert, doch spätestens nach ihrem Eingang ins Neue Testament in unserer Kultur verankert. Unzählige Male wurde er dargestellt; nicht nur Tizian, Caravaggio oder Leonardo da Vinci haben Johannes als Sujet aufgegriffen. Im Drama und in der Oper sind uns vor allem die Werke Oscar Wildes und Richard Strauss‘ bekannt – beide haben jedoch Salome in den Mittelpunkt gestellt – und waren doch beileibe nicht die einzigen. Jules Massenet wandte sich dem Stoff in der Oper »Hérodiade« zu, lange zuvor hatte Antonio Maria Bononcini, der jüngere Bruder Giovanni Bonocinis, ein Oratorium »La decollazione di San Giovanni Battista« (»Die Enthauptung von Johannes dem Täufer«, 1709 in Wien uraufgeführt) verfaßt. Mehr als ein viertel Jahrhundert zuvor war Alessandro Stradellas Oratorio »San Giovanni Battista« in Rom anläßlich der Fastenzeit aufgeführt worden.
Selbst in der Konzertreihe der Barockspezialisten des Collegiums 1704 war das Oratorium am Donnerstagabend in der Annenkirche ein Exot, doch ist bemerkenswert, daß die Werke des Komponisten noch lange Zeit nach dessen Tod weiter aufgeführt wurden. Immerhin gab es eine Tradition des Bewahrens damals kaum, dagegen wandelte sich der Geschmack, die Menschen wandten sich neuen Stücken zu – heute kaum vorstellbar.
Weshalb Stradella so geschätzt blieb, mag nicht zuletzt an der effektvollen Dramaturgie seiner Werke gelegen haben, denn er band nicht nur Continuo- (Begleit-) Musik mit instrumentalen Passagen und Arien sowie Duetten zu einem stimmigen Werk, er setzte Höhepunkte der Handlung mit wohlüberlegten Akzenten um. So weisen noch viele Rezitative Stimmungswechsel im Erzählfluß auf, Arien »kippen« an Entscheidungspunkten ins Dramatische oder entspannen sich, nicht selten hat ein Protagonist gar zwei aufeinanderfolgende Arien bzw. läßt Stradella einer Arie sofort ein Arioso folgen – nachdem Herodes die Rache (den Mord) an Johannes beschlossen hat, »sieht« er dessen Wirkung auf andere voraus.
Solch fast plastische Darstellungen wollen natürlich erweckt werden. Václav Luks und sein Collegium 1704 haben schon oft bewiesen, daß sie eine wahre Leuchtkraft entwickeln können. Die wiederum kommt nicht aus einem bloßen Effekt, sondern aus einer tiefen Musikantität – Stradella hat nicht nur (mit Ausnahme des Continuo) auf den Einsatz von Bläsern verzichtet, auch viele Arien werden verhältnismäßig schlicht begleitet. Wenn, dann waren die Konzertmeister (neu beim Collegium: Josef Žák, Ivan Iliev) oft solistisch zu erleben. Das Orchester fungierte als »handlungstragendes Band«, führte in den Tutti-Passagen aber immer wieder die Pracht der (römischen) Violinschule vor.
Ohne den Chor des Collegium Vocale 1704 (Stradella verzichtet auf ihn wie auf einen Erzähler) oblag der Gesang fünf Solisten. Christophe Dumaux‘ kräftiger, aber etwas metallischer Countertenor war fast schneidend, was den Aufruhr, den San Giovanni auslöst, noch betonte, doch unterstrich er in einer Lamento-Arie, daß Johannes niemals seinen Schmerz gegen das Glück anderer tauschen würde.
Für außerordentlichen Wohlklang sorgte die kurzfristig eingesprungene Giulia Semenzato (Sopran) als Salome, während Krešimir Stražanac (Baß, Herode), dem Publikum bereits bestens bekannt, mit ausgefeilter stimmlicher Dramatik begeisterte. Mit Luca Cervonis unheimlich geschmeidigem Tenor (Consigliere) und Gaia Petrones volltönendem, aber ausgewogenen Mezzosopran (Madre Hérodiade) standen zwei weitere Solisten zur Verfügung, denen man größere Rollen gegönnt hätte. Schon zu Beginn begeisterte ein Quartett der Gefährten Johannes‘ im polyphonen Madrigalchor als Ensemble. Giulia Semenzato bewies aber auch, wie glutvoll, sogar »giftig« Salome werden kann (sie ist es, die Johannes‘ Kopf fordert). Ihr und Herode gehörte auch der gegensätzliche Schluß, ein Duett vollkommen unterschiedlicher Temperamente, das urplötzlich endet.
7. Februar 2020, Wolfram Quellmalz
Im nächsten Konzert des Collegium 1704 und des Collegium Vocale 1704 erklingen am 14. März (19:30 Uhr, Annenkirche) Werke von Johann Sebastian und Johann Christian Bach, außerdem von Nicolaus Bruhns und Johann Adam Reincken.