Die Cellistin Anna Skladannaya nutzt die Zeit zum Üben und zum Komponieren
Im August 2019 feierte ein erstes Werk von Anna Skladannaya »Die Mauer« im Rahmen eines privaten Musiksalons Premiere. Anna spielte den Cellopart selbst, am Klavier saß ihre langjährige Duo-Partnerin und Schwester Sofia Skladannaya. Später sind die beiden Musikerinnen mit dem Stück noch einige Male in Dresden und Moskau aufgetreten.
Wie es ist, seine eigenen Kompositionen vorzuspielen, erzählt uns Anna heute:
Ich war sehr froh, dass das Dresdner Publikum meine Arbeit so herzlich aufgenommen hat! Es ist sehr wertvoll für mich!
Photo: Anna Skladannaya
Früher, als ich mir die Werke des Autors selbst anhörte, dachte ich, es sei einfacher, »eigenes« zu spielen – denn, wenn Sie ein Autor sind, wird Ihnen später niemand sagen: »Hier, an diese Stelle, ist aber ein Forte« oder »Tempo primo ist erst hier geschrieben«. Wie erstaunlich war es nun für mich, einmal den umgekehrten Fall zu erleben! Wenn Sie zum Beispiel mit Brahms-Sonate auftreten, wissen Sie insgeheim, dass es den meisten gefallen wird, auch wenn das Werk nicht sehr gut gespielt wurde. (Es kann nur gefallen und beeindrucken: Es ist doch Brahms!) Wenn Sie aber mit Ihrer eigenen Stück auf die Bühne gehen, verstehen Sie, dass Ihr Werk und Ihre Ideen, egal wie Sie es wünschen, seit Jahrhunderten noch nicht getestet wurden und zusätzlich zum Lampenfieber wissen Sie nicht, wie das Publikum ihr Werk aufnimmt, egal wie technisch einwandfrei es war. Ob die Leute verstehen, was der Komponist, die Komponistin (ich) mit Hilfe von Noten, Strichen, Harmonien sagen wollten … Bei kürzlich geschrieben neuen Werken ist es sogar beängstigend für mich, sie anderen Menschen zu »geben«. (Ich möchte mich am liebsten in einen Raum einschließen und es nur für mich selbst spielen.)
Vielleicht ist es ein wenig wie in Raphaels »Sixtinischer Madonna«, die Ihr Kind der Welt zu geben scheint. Oder so, als ginge man zur Beichte! Daher lasse ich neu komponierte Stücke lieber etwas »liegen« und spiele sie frühestens nach zwei Wochen nach Fertigstellung vor Kollegen, damit sie »stärker und älter werden«. Ich brauche als Spielerin selbst eine Distance zu den von mir komponierten Stücken.
Zu komponieren hat viele Vorteile: Sie lernen, sich selbst zu, Ihrer musikalische Intuition zu vertrauen. Es fällt Ihnen leichter, die Werke anderer Komponisten zu interpretieren, wenn Sie sich einmal selbst damit »gequält« haben, eine Melodie so zu schreiben, dass der Übergang zur Coda logisch ist.
Das Genie der berühmten Komponisten zeigt sich nebenbei. Sie hören plötzlich: Dieses Thema war ihm besonders wichtig, da er es dreimal gehalten und auch ein Echo der Coda aufgenommen hat! Dann gibt es Stellen, bei denen ich den Eindruck habe, der Komponist zweifelte, ob man anders aus einer Passage herauskommen könnte!
Voilà – Sie erkennen, dass Werke lebendig sind! Sie haben sich im Komponisten entwickelt und entwickeln sich in den Spielern weiter. Musiker, die ein Stück aufführen, sind Mitautor und sollten nicht schüchtern sein, etwas »Falsches« zu spielen, wenn es logisch ist und Sie es überzeugend aufführen!
Am allermeisten würde ich nach 100 Jahren nicht mehr vom Himmel sehen wollen, dass jemand seine gute Idee oder Interpretation wegwirft, nur weil es in meinen Noten anders geschrieben ist.
Und selbstverständlich, damit sich nach so langer Zeit noch jemand an mich erinnert, muss man hart arbeiten … Genau deshalb sollte ich jetzt wieder üben!
Photo: Anna Skladannaya
15. April 2020, Anna Skladannaya
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