Moritzburg Festival am Sonntag eröffnet
In den letzten Wochen hat ein langsames Wiedererwachen der Kultur stattgefunden, daß uns Konzerte in Sonderformaten beschert: meist gekürzte Programme, kleine Besetzungen, keine Pausen. Mit dem Beginn des Moritzburg Festivals erklimmen wir nun die nächste Stufe, denn es findet im wesentlichen mit den ursprünglich geplanten Stücken statt. Es gibt also Abende in voller Länge und mit Pausen. Und nicht nur das – die Künstler bekommen sogar wieder Blumen überreicht (behandschuht natürlich)! Selbst den Umstand, daß die Konzerte auf der Schloßterrasse stattfinden, konnte der Veranstalter mildern, denn statt eines einfachen Daches oder Kubus‘, wie man es von Freilichtveranstaltungen kennt, sind die Musiker ringsum geschützt und spielen Kammermusik in einer »Ersatzkammer«. Die elektronische Verstärkung erwies sich dabei am ersten Abend als angemessen. Manche Feinheiten erlebt man hier zwar nicht so wie im Speisesaal des Schlosses, doch wenn die Violinen links sitzen, hört man sie auch links und nicht einfach von vorn wie in vielen Fällen sonst.
Der einzige Wermutstropfen des Sonntagabends war das Wetter, denn es hatte sich seit dem Nachmittag ordentlich eingeregnet. Trotzdem blieben nur wenige Plätze des an sich ausverkauften Abends frei – viele der Besucher ließen sich vermutlich nur durch meterhohes Packeis von einem Moritzburg-Konzert abhalten. Abgesehen davon, daß wir alle kulturell ausgehungert sind, wie die Sächsische Staatsministerin für Kultur und Tourismus Barbara Klepsch als Schirmherrin (sic!) bemerkte, hat das Festival eben eine ganz spezielle Zugkraft.
Das erste Konzert begann mit zwei Raritäten: Ismo Eskelinen kehrte mit Gitarrenquintetten nach Moritzburg zurück. In Mario Castelnuovo-Tedescos Quintett Opus 143 umgarnten sich die Gitarre und vor allem die Viola (Sindy Mohamed) und verbreiteten – trotz Regens – mehrfach das Flair einer Mondscheinsonate. Zweifelte die Viola in goldener Tiefe etwa am Gitarrenhelden? Die Violinen (Baiba Skride und Kevin Zuh) sowie das Violoncello von Christian-Pierre La Marca banden das Quintett jedoch sicher zusammen, die Violinen jubelten im Flageolett.
Luigi Boccherini hat in einer Reihe von Quintetten die damalige Mode (er verbrachte wie Domenico Scarlatti ein Jahrzehnt zuvor in Madrid) aufgegriffen und die Gitarre in den solistischen Vordergrund gestellt (und – nur nebenbei – auch wundervolle Sinfonien geschrieben). Mehr noch als bei Castelnuovo-Tedesco durften sich Ismo Eskelinen und das Streichquartett (Zhu, Skride, Mohamed, nun mit Henri Demarquette am Violoncello) im vierten der Quintette wiegen – nach Mondscheinstimmung brach sich Liebesromantik ihre Bahn. Das Ensemble wuchs gar zum Sextett, denn Josep Caballé Domenech, der Chefdirigent der Moritzburg Festival Akademie, ist selbst unter anderem an Schlagwerken ausgebildet und übernahm für den Fandango-Satz die Kastagnetten. (Dabei wurde ihm die Ehre zuteil, dafür im Programmheft genannt zu werden. Vergleichen Sie einmal: bei CD-Aufnahmen sucht man den Namen des Kastagnetteurs meist vergebens). Im Quintett umkreisten die Musiker synchron das Allegro maestoso, bevor sie im feurigen FandangAno jeden Wettergedanken verscheuchten – Josep Caballé Domenech und Henri Demarquette schienen den Regen schier auszulachen.
Auf die vorgesehene Pause verzichtete Jan Vogler dann doch – wer wollte schon im Niesel plaudern und Wein trinken? Schließlich waren alle wegen der Musik gekommen. Mit Antonín Dvořáks zweitem Klavierquintett gab es so einen kammermusikalischen Höhepunkt zum Schluß. Andrea Lucchesini hatte dafür am Flügel von Steingraeber & Söhne Platz genommen und bewies, daß man selbst draußen und mit Mikrophonverstärkung feinste Schattierungen zeichnen kann. Das machte allein schon Lust auf mehr Klaviermusik mit ihm, doch Mira Wang und Nathan Meltzer (Violinen), Ulrich Eichenauer (Viola) und Andrei Ioniță (Violoncello) folgten ihm in wohlige Tiefen, auch wenn Mira Wangs Violine manchmal etwas dominierend schien. Zwischen burschikos, wehmütig singend (Ullrich Eichenauers herrliche Viola) und leisem Hauch schraffierten sie zu fünft Dvořáks Werk dynamisch aus.
Fast zwei Stunden Konzert – solche mitreißende Fülle darf man noch bis zum 16. August erwarten.
3. August 2020, Wolfram Quellmalz
Für einige der Konzerte und die öffentlichen Proben (heute) gibt es noch Karten oder Restkarten an der Abendkasse. Weitere Informationen unter: http://www.moritzburgfestival.de
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