Frankreich-Abend in der Dresdner Frauenkirche

Orgelzyklus mit Ben van Oosten

Regelmäßig jeden Mittwoch zwischen Anfang Februar und Anfang Dezember gibt es in Dresden große Orgelkonzerte oder große Abende an den großen Orgeln, im wesentlichen getragen von Kreuzkirche, Hofkirche (welche in diesem Jahr wegen Baumaßnahmen jedoch nicht beteiligt ist) und Frauenkirche. Vier Termine finden im Kulturpalast statt. Trotz oder gerade wegen der Regelmäßigkeit sollen sich die Anlässe jedoch nicht schematisch gleichen, und so haben sich an den Aufführungsorten und Instrumenten entsprechend verschiedene Programmschwerpunkte entwickelt. Folglich gibt es auch manche Gäste, die vor allem an eine bestimmte Orgel zurückkehren. Ben van Oosten (Den Haag) hat bereits mehrfach die Kern-Orgel in der Frauenkirche gespielt, zu seinen Spezialitäten gehören die sinfonisch geprägten Werke der französischen Schule.

Dem französischen Werk widmete sich der Organist am vergangenen Mittwoch erneut. Daß dabei nur zwei Stücke auf dem Programm standen, verwunderte zunächst. Doch die Erwartung eines eher kurzen Abends unterlief van Oosten allein schon mit dem Jubilar Louis Vierne. Zum 150. Geburtstag des französischen Komponisten stand dessen fünfte Sinfonie auf dem Programm, welche allein schon die Vierzig-Minuten-Marke berührt.

Einleitend erklang der Choral Nr. 1 von César Franck. In Belgien geboren, kam der Organist und Komponist als junger Mann nach Paris, wo er die Musik ebenso prägte wie er selbst durch die Orgellandschaft der Hauptstadt geprägt wurde. Sein Choral ist weit entfernt von den Vorspielen oder Phantasien, die in Deutschland eine eigene Gattung geworden waren. Statt auf eine Textzeile hinzuwirken, geht Franck sehr frei und phantasievoll mit dem melodischen Material um. Und dennoch liegt dem eine klare Struktur zugrunde. Ben van Oosten hob das Dialogische Prinzip hervor, die Gegenüberstellung von Stimmen oder der Themen. Obwohl hier eindeutig der sinfonische Gehalt überwog, fanden sich Zeichen einer liturgischen Herkunft, wie etwa die Stimmen von »unten« und die Antwort von »oben«. Die Hinführung im Schlußteil erfuhr in der Steigerung und Strahlkraft schließlich eine apotheotische Wirkung.

Die Chromatik, die schon bei Franck sehr vordergründig wirkte, bekam bei Louis Vierne eine noch tiefere Bedeutung. Im Gestus, in der Verarbeitung von Themen, deren Wiederkehr, erinnert er tatsächlich an Wagner (und gereicht im Ausmaß an eine Bruckner-Sinfonie). Für Orgelfreunde sind solche üppigen Werke eine Freude – die einen mochten sich von der teilweise opernhaften Gestalt gefangennehmen, die anderen fanden darin konkrete Farben oder Bezüge (Samuel Kummer sieht eine explizite Verwandtschaft unter anderem zum »Tristan«). Die Symphonie Nr. 5 entwickelte eine ungemeine Sogwirkung, die ebenso auf einem suggestiven Klangeindruck wie auf Schwebungen beruhte. Stetig in Auf- und Abwärtsbewegungen schien bereits das Grave auf Wagner zu verweisen, im vierten Satz (Larghetto) legte Ben van Oosten eine ähnliche Stetigkeit der Entwicklung offen, eine Bewegung im Ruhepunkt. Belebend und äußerst beweglich wirkten dazwischen Allegro und Scherzo. Im zweiten Satz scheint der Komponist die Motive zu einem Turm zusammenzustellen, immer höher wachsen zu lassen. Ohne Schwere im Pedal und jede Monstrosität vermeidend erhielt Ben van Oosten dem Stück dabei die Leichtigkeit.

Insofern gab es im Final auch keine Wende, sondern eine Steigerung. Denn nach den immerhin massiven chromatischen Läufen zeigt sich Vierne darin ungemein verspielt, schon der Beginn erinnerte an die Fontaine einer Wasserkunst. Ben van Oosten ließ die große Orgel zur überbordenden, energiegeladenen Spieluhr mutieren – manchmal genügen zwei Stücke eben, um einen ganzen Konzertabend auszufüllen.

Nächstes Konzert des Dresdner Orgelzyklus‘: 26. August, 20:00 Uhr, Domorganist Marcel Andreas Ober (Hedwigskathedrale Berlin) spielt Werke von Johann Sebastian Bach, Georg Friedrich Händel, Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwig van Beethoven, Felix Mendelssohn Bartholdy, Otto Nikolai und Max Reger (ab 19:19 im »Gespräch unter der Stehlampe«)

Ben van Oosten hat sämtliche Orgelwerke César Francks sowie alle Orgelsinfonien Louis Viernes auf CD eingespielt (MDG). Die Orgelsinfonien Nr. 3 und 5 gibt es auch von Frauenkirchenorganist Samuel Kummer an der Kern-Orgel (Carus).

20. August 2020, Wolfram Quellmalz

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