Neue Konzertreihe von Matthias Lorenz begann im geh8
Nach »Bach heute« und »Alte Meister« hat der Cellist Matthias Lorenz einen neuen Schwerpunkt gefunden: »fremdbestimmt« heißt die Reihe, die bis 2025 laufen soll. Der Titel läßt sich in verschiedenen Ebenen lesen, wahrnehmen, deuten: Die Programme stellt Matthias Lorenz nicht selbst zusammen, sondern hat sie (fremdbestimmt) anderen überlassen, die jedoch nicht einfach »frei« Lieblingsstücke auswählen dürfen, sondern einem zugeordneten Thema folgen.
Am Montagabend (geh8, Dresden) hatte der Komponist Nikolaus Brass eine Auswahl zum Thema Politik / Gesellschaft von Autoren ganz unterschiedlicher Herkunft getroffen. Damit beginnt ja die Auseinandersetzung: einerseits darf man das Werk und seinen Schöpfer nicht gleichsetzen, andererseits kann man den Zusammenhang nicht ignorieren. Herkunft und Umstände können einen Hintergrund erhellen, ihn zuverlässig erklären vermögen sie indes nicht. Gerade dann, wenn Komponisten ihr Land verlassen, ist das mehr als ein »Ortswechsel«. Es erschließt neue Schulen / Lehrer, Räume, auch Klangräume ein, kann freiwillig passieren oder erzwungen sein …
György Ligeti zum Beispiel ging früh in den Westen und gehörte hier zu den anerkanntesten zeitgenössischen Komponisten. Seine zwischen 1948 und 1953 entstandene Sonate für Violoncello solo trägt vielleicht viel von der Tradition von Béla Bartók oder Zoltán Kodály in sich – oder versteckte sich in dieser »Hülle« bereits der neue Ligeti? Zwar läßt sich eine traditionelle Tonalität und Motivik durchaus erkennen, doch zeigte Matthias Lorenz zudem, daß Ligeti bereits frei damit umging, mit technischen Mitteln wie Glissandi oder Tremoli nicht nur einen Effekt bezweckte, sondern einen bestimmten Klang zu erzeugen versuchte, der über melodische Sprünge und Verläufe hinausging.
Und doch – kann man angesichts des mittlerweile nicht geringen Alters des Stückes noch von »zeitgenössischer Musik« sprechen? Die Wurzeln von Ligeti wurden zwar ersichtlich, doch im Vergleich scheinen seine späteren Werke natürlich eindrucksvoller. An diesem Abend wurde er von Uroš Rojkos »Ja« übertroffen. Eigentlich war es ein klares »Ja!!!«, ein Bekenntnis, ein willensstarkes Werk, daß zwar suchend durch den Raum forschte, das aber auch eine Unbeirrbarkeit bewies; Matthias Lorenz nannte es »Trotz«. Das Werk begann schon mit dem starken Anreißen einer Saite – einem Knall, einem Impuls, ein Auslöser! Mit zwei Bögen spielt der Cellist teilweise, und selbst wenn Töne zu »stehen« scheinen, wenn man formal kaum eine Entwicklung geschweige denn einen Fortschritt erkennen konnte, drängte »Ja« voran. Beeindruckend war, daß die vielen Wechsel zwischen ein und zwei Bögen, die Übersteigerung eines Crescendos und der Schrei des Cellisten nicht in Unruhe führten, sondern einen unbändigen Willen dokumentierten – ein extrem impulshaftes Werk!
Nach diesem schon emotional sehr zugänglichen Werk ließen sich Younghi Pagh-Paans »AA-GA« und selbst Nicolaus A. Hubers »Der Ausrufer steigt ins Innere« schwerer fassen, zumal beide thematisch oder durch die Verwendung von Erinnerungspartikeln (Pagh-Paan) sowie deren Verknüpfung und Verfremdung einen hellwachen Geist erforderten. Ein bißchen an die Grenzen kommen war da erlaubt, zumal das Thema schließlich immer dazu einlud, wenn nicht aufforderte, mitzudenken.
Den Abschnitt vor der Pause hatte Friedrich Goldmanns »Cellomusik« abgeschlossen. Doch was hört man da, was läßt sich erkennen? Einen von der DDR geduldeten oder erlaubten oder nicht behinderten Komponisten? War er angepaßt oder entsprach die Komposition einer freien Entscheidung? Und wie wollte, sollte er im Westen wahrgenommen werden – als Vertreter der Neuen Musik in der DDR oder als individueller Autor?
Auch Goldmann hatte einen Klangraum erschaffen, den er aus der Grundlage der Zwölftonmusik abgeleitet hatte. Und doch schien – gerade im Vergleich mit dem zuvor erklungenen »Ja«, daß vielleicht nicht alles bei ihm offen lag. Variationen in Tempo und Dauer, in der Kraft, mit der der Bogen gespielt wurde, brachen Strukturen auf, sorgten für eine innere Unruhe bzw. Angespanntheit des Stücks. Goldmann schien, zumindest im direkten Vergleich mit »Ja«, ein sich vorwagender, aber unsicherer Sucher, das Ende seines Stückes blieb somit ein wenig unvorhersehbar.
Mit einem »Juwel der Musik des 20. Jahrhunderts« (Matthias Lorenz), den Vier kurzen Studien von Bernd-Alois Zimmermann, schloß der Abend ab. Darin hat er in einem verblüffend minimalen Klangraum vier Charaktere oder Temperamente mit großer Klarheit skizziert, die sanglich, ruhevoll, aufrüttelnd verliefen, im Dialog oder als Solo vorgetragen waren. Ob vorhersehbar oder nicht – es war die Konzentriertheit, die bestach bis zum Aushauchen des letzten Tons.
15. September 2020, Wolfram Quellmalz
»Fremdbestimmt« wird fortgesetzt. Die Themen der Jahrgänge und die Personen, welche die Auswahl treffen, stehen bereits fest. Sogar das Programm der Jahre 2022, 2024 und 2025 kann bereits nachgelesen werden: https://www.matlorenz.de/fremdbestimmt.html
Das 1. Konzert fand auch schon als online-Streaming statt und kann unter https://www.youtube.com/watch?v=fP1Z2sAKSWU&feature=youtu.be angesehen und angehört werden.