Eröffnung des Heinrich Schütz Musikfestes mit Akadêmia und anderen Künstlern
Das Heinrich Schütz Musikfest hat sich nicht nur der Musik eines der größten Meister seiner Zunft verschrieben, es gehört zu den mutigsten und innovativsten Veranstaltern. Werke werden hinterfragt, neue Orte erschlossen, Verbindungslinien gezogen. Im vergangenen Jahr konnte man als Evangelisten in Heinrich Schütz‘ »Historia der fröhlichen und siegreichen Auferstehung unsers einigen Erlösers und Seligmachers Jesu Christi« (Auferstehungshistorie, SWV 50) einen Sänger erleben, der die byzantinische Tradition aufgriff. Am Freitag gehörte das Werk zum Programm der Eröffnungskonzerte in der Dresdner Kreuzkirche.

In diesen Zeiten das HSMF – mit ausländischen Gästen – durchführen zu können, grenzt an ein Wunder, freute sich Intendantin Dr. Christina Siegfried in ihrer Begrüßung. Eines zur rechten Zeit – wohl kaum einer könne so wie Schütz, der während des Dreißigjährigen Krieges selbst persönliche Verluste und Trauer erfahren habe, mit seiner Musik derart trösten und stärken.
Es wurde eine Lange-Schütz-Nacht, von mdr kultur direkt übertragen. Auf dem Programm standen drei große Werke Heinrich Schütz‘, welche Geburt, Sterben und Auferstehung Jesus Christus beschreiben: im ersten Konzertteil war die »Historia der freuden und Gnadenreichen Geburth Gottes und Marien Sohne, Jesu Christi« (Weihnachtshistorie, SWV 435) zu hören, der zweite begann mit der geistlichen Chormusik »Die sieben letzten Worte Jesu Christi am Kreuz« (SWV 478), die Auferstehungshistorie bildete den Abschluß. (Die beiden Eröffnungskonzerte wurden am Sonnabend in St. Marienkirche Weißenfels / Teil 1, und am Sonntag in der St. Salvatorkirche Gera / Teil 2, noch einmal gespielt.) Insgesamt zwei Stunden Musik von Heinrich Schütz, freilich sind die Werke in umgekehrter Reihenfolge und in ganz unterschiedlichen Zeiten entstanden: in schaffensreichen Jahren schrieb der junge Komponist zwischen 1619 und 1623 die Auferstehungshistorie, die Sieben letzten Worte werden 1645, drei Jahre vor Ende des Dreißigjährigen Krieges, datiert, die Weihnachtshistorie hatte Heinrich Schütz, bereits betagt, 1660 in Friedenszeiten verfaßt. Einen regelrechten Zyklus ergeben sie nicht, auch ist ihre Überlieferung mit Fragen behaftet. Die Sieben letzten Worte beispielsweise dienten wohl der Lesung am Karfreitag und werden heute oft ohne die Evangelistentexte aufgeführt. Diese sind nicht einem Evangelisten vorbehalten, sondern vielen, wandern vom Sopran über den Tenor bis zum Chor.
Die Residenzkünstler der Akadêmia bewiesen ein Gespür für feine Farbzeichnungen und Stimmungen. In ihrer Auffassung folgten sie nicht einem »kantigen« historisch informierten Stil, sondern stellten klar die (oft sehr schlichte) Schönheit heraus, was teilweise geradezu romantisch wirkte. Vor allem der Chor war relativ klein besetzt und wirkte in der Kreuzkirche zumindest in der Weihnachtshistorie ein wenig verloren. Wohl auch, weil die Sänger konzeptbedingt (Hygiene) ganz hinten standen. Manche von ihnen hatten sehr schlanke Stimmen, die für den großen Raum zu klein waren. Das Orchester, mit bis zu fünf Gamben ausgestattet, konnte dagegen eine größere Präsenz entwickeln, der Chor wurde im zweiten Konzert jedoch stimmlich wesentlich kräftiger.
Françoise Lasserre folgte dem Schönheitsanspruch ganz konsequent. Instrumental exponierte Passagen gibt es ohnehin nur in der Weihnachtshistorie (ohne daß sie dabei jenen prachtvoll-festlichen Charakter erreicht, den wir aus den späteren Oratorien kennen). Flöten, Violinen, Zinken und Dulzian haben nur wenige Soli, unterstrichen dafür um so schöner den Gesang, beispielsweise des Engels. Berückend waren die vermittelnde Emotionalität in den Sieben letzten Worten und in der Auferstehungshistorie – Schütz‘ Musik kann wahrlich Trost spenden und Kraft schenken! Die Musik verstand Françoise Lasserre wohl wie ein Boot, welches Worte trägt. Denn mit Harfe, Laute und anderen Instrumenten reich ausgestattete Basso continuo setzte sie entsprechend der Dramaturgie der Evangelistenpassagen variabel ein, womit sie die Sinnlichkeit der Musik unterstrich.
Herausragend unter den insgesamt sehr gut verständlichen Sängern war Jan van Elsacker als ein fein nuancierender, lyrischer Evangelist. Individuell beeindruckend überzeugte er, ohne daß ein Vergleich mit »gewohnten« Evangelisten nötig wäre. Bassist Jon Stainsby füllte die Rolle Jesu beinahe opernhaft aus und entwickelte, vor dem vergoldeten Altarbild agierend, eine fast missionarische Strahlkraft. Er konnte klagend rufen (»Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?«, Sieben letzte Worte), »Maria!« des sterbenden Jesus am Kreuz (Auferstehungshistorie) klang dagegen wie von Ferne.
Für diese Eröffnung gab es zu später Stunde herzlichen Applaus.
Am Sonnabend gehörte die Kreuzvesper zum HSMF. Kreuzorganist Holger Gehring, das und die Solisten Heidi Maria Taubert (Sopran), Stefan Kunath (Altus), Alexander Bischoff (Tenor) und Clemens Heidrich (Baß) stellten dabei Musik Heinrich Schütz‘ und Heinrich Ignaz Franz Bibers gegenüber. Im Anschluß eröffneten Holger Gehring und Kreuzkirchenpfarrer Holger Milkau die Spendenaktion »Census Sanctae Crucis«, mit der die seit 650 Jahren bestehende Kirchenmusik unterstützt werden soll. Spendenurkunden sind (auch im Zusammenhang mit Konzertkarten) ab heute im Haus der Kreuzkirche erhältlich.
Zur selben Zeit wie die Vesper oder (in der zweiten Aufführung) am Abend konnte man gleich die nächste Entdeckung beim HSMF machen: Im Coselpalais luden Les inAttendu zum Konzert. Schon im Namen (inattendu – unerwartet, attendu – erwartet) des Duos verbirgt sich ein Wortspiel. Aus gutem Grund: Die Instrumente von Marianne Muller (Viola da gamba) und Vincent Lhermet (Akkordeon) sind der Entstehungszeit und Blüte nach eigentlich um Jahrhunderte getrennt. Als sich die beiden vor fünf Jahren während einer Sommerakademie trafen, suchten sie Werke für ihre Besetzung und fanden – nichts.
Fündig wurden sie jedoch in den tief emotionalen Werken und Liedern Englands im 16. und 17. Jahrhundert. Verblüffend war, wie gut beide Instrumente zusammenpassen, wie sich die Stimmen fügten. Es sind genaugenommen drei, denn das Akkordeon kann die Melodie ebenso spielen wie die Begleitung und schnarrt, wenn es sein soll, im Subbaß. Doch das »anders« oder »neu« rückte in den Hintergrund, Vincent Lhermet verstand es, seinem Intrument die latent gefährliche Aufdringlichkeit zu nehmen. Manche der Lieder von Tobias Hume, John Dowland und Orlando Gibbons kennt man im Original, auch beim HSMF, gesungen von Dorothee Mields, oder von Sting.
Mittlerweile gibt es vier Originalwerke für Gambe und Akkordeon, die für Les inAttendu geschrieben wurden. Mit Philippe Hersants Wiegenlied »Lully Lullay« nach einem altenglischen Text gab es davon eine Kostprobe. Für den Abschluß verließen Marianne Muller und Vincent Lhermet England und spielten als Zugabe – für die Zufriedenheit am Kamin, während draußen der Regen fällt (Text aus dem vorangestellten Sonett Vivaldis) das perlende Winter-Largo aus den »Vier Jahreszeiten«.
Das HSMF findet noch bis zum kommenden Sonntag statt. In Dresden geht es heute mit »Schütz Junior« (18:30 Uhr, Heinrich-Schütz-Konservatorium) weiter. Am Dienstag finden zwei Konzerte im Palais im Großen Garten (Stylus phantasticus, 14:30 und 19:30 Uhr) statt, bevor Lucile Boulanger, Viola da gamba am Mittwoch (»Zurück in die Zukunft«, 17:00 und 20:00 Uhr) in Alte Pumpenhaus Dresden entführt.
Die Eröffnungskonzerte können auf der Seite von mdr kultur nachgehört werden: https://www.mdr.de/kultur/radio/ipg/sendung-595842_date-2020-10-02_ipgctx-true_zc-905525cf.html
weitere Informationen unter: www.schütz-musikfest.de
mehr zur Spendenaktion »Census Sanctae Crucis« unter: http://www.kreuzkirche-dresden.de