Beethoven-Violinsonaten

Gesamtaufnahme mit Leonidas Kavakos und Enrico Pace

Nein, es ist gar keine neue Einspielung, aber die Gesamtaufnahme der Violinsonaten Ludwig van Beethovens mit Leonidas Kavakos und Enrico Pace von 2012 war eine Zeitlang vergriffen. Nun hat das Plattenlabel Sony sie wieder aufgelegt, wir haben noch einmal hineingehört.

Und sie bestätigte, was wir in bester Erinnerung hatten, denn 2016 waren der Violinist und sein Begleiter bei den Dresdner Musikfestspielen gewesen und hatten an drei Abenden sämtliche Sonaten im Konzert gespielt. Damals waren die Konzerte so gewichtet, daß sie in Attraktivität und Länge etwa gleich ausfielen, aber individuelle Bezüge aufwiesen. »Kreutzer-« und »Frühlingssonate« in einem Konzert zu spielen, hätte dem widersprochen. Die Zusammenstellung auf drei CDs ist wohl weniger programmatisch als pragmatisch, was der Aufnahme jedoch keinen Abbruch tut, ganz abgesehen davon, daß man sich, derart gut »ausgestattet«, seinen Konzertabend selbst zusammenstellen kann.

Ohnehin sind die meisten der Sonaten – anders als ihre Schwestern für Klavier – nicht über die Schaffenszeit Beethovens verteilt, sondern entstanden binnen weniger Jahre, womit eine Unterteilung in Phasen von vornherein entfällt. Wozu auch, wenn sie so individuell stringent und einfühlsam interpretiert werden?

Wenn Leonidas Kavakos sagt, Beethoven sei »gewaltig, grimmig, unnachgiebig, unberechenbar, doch vor allem überaus sensibel«, so erweist sich das nicht als bloße Floskel oder Attitude eines »Themenabends«, man hört, spürt, wie er sich mit seinem Partner Beethoven nähert – sensibel, vorsichtig, selbstbewußt. Daraus resultiert ein Violinton, der geschmeidig und anpassungsfähig ist – statt nur schönen Klang zu bieten, lotet das Duo lyrische Themen aus, gestaltet einen dramaturgischen Verlauf und findet einen individuellen Ausdruck für die höchst unterschiedlichen Sonaten. In der ersten, mit der die Gesamtaufnahme beginnt (Opus 12 Nr. 1), folgt einem atemvollen Allegro con brio ein liedhaftes Thema, das sogleich variiert wird – schon hier zeigt sich, wie gut Violinist und Begleiter aufeinander eingeschworen sind, wie groß ihr Ausdrucksspektrum ist! Leicht, behend, verspielt, dramatisch … schier grenzenlos ist Beethovens Gefühlswelt.

Sie reicht noch viel weiter, ist anmutig wie in der Sonate Opus 23, deren Andante einem liebevollen Werben gleicht. Und im Spiel mit den traditionellen Formen erweisen sich Beethoven, Kavakos und Pace ebenso als wahre Meister, wie im grazilen Tempo di minuetto aus Opus 30 Nr. 3, dem sie einen Liebreiz verleihen, der niemals »süß« oder schwülstig wird. Die »Kreutzersonate« (wir hörten kürzlich zwei Bearbeitungen für Violoncello) gehört letztlich natürlich in die Violinlage, Kavakos und Pace lassen sie frei und großzügig (auch das eine Seite Beethovens) klingen. Wie sich der erste Satz wendet, nach der Einleitung beschleunigt, klingt organisch, folgerichtig wie ein Praeludium et Fuge.

Nicht nur sehnsuchtsvoll kann die Violine singen (Adagio molto espressivo / Opus 30 Nr. 1), Leonidas Kavakos kann sie ebenso rauh klingen lassen. Das Finale aus Opus 30 Nr. 2 stiebt ein wenig poltrig davon, als sei Beethoven die (kurze) heitere Ausgelassenheit des zuvor erklungenen Scherzos, das schon ein paar seiner Derbheiten durchblitzen ließ, zuviel gewesen – wie erfrischend! Und auch die letzte Sonate der CD (Nr. 10) reicht von andachtsvoller Ruhe bis zu ungestüm-ausgelassenem Variieren.

Das Duo Pace-Kavakos ist eingeschworen, hat sich aber seine Spontanität bewahrt. Das gilt für diese Aufnahme, die nach wie vor Referenzcharakter hat, wie für ihre Konzertaufführungen. So erstaunt es fast, daß sich Leonidas Kavakos nicht auf diesen einen Partner festlegt. Wir haben ihn unter anderem schon mit Elisabeth Leonskaja erlebt (Brahms – grandios!), im Frühjahr ist ein Programm mit Yuja Wang angekündigt, die bei uns bisher eher pianistische Fragezeichen aufgeworfen hat – wir sind gespannt!

November 2020, Wolfram Quellmalz

(Der Artikel ist in leicht gekürzter Form bereits in Heft 38 der NMB enthalten)

Leonidas Kavakos, Enrico Pace, Beethoven Sonaten für Violine und Klavier, Gesamtaufnahme (3 CDs im Schuber), wieder erschienen bei Sona classical

Schreiben Sie einen Kommentar

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Wechseln )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Wechseln )

Verbinde mit %s