Ringen um Zuversicht

Kreuzvesper stimmt zum Vierten Advent ein

Es ist nicht nur das kulturelle Leben, das uns derzeit fehlt, es sind die sozialen Kontakte, die nur schwer ersetzt oder »verlegt«, online »bedient« werden können, ganz zu schweigen von Momenten der Andacht. Insofern ist es bewunderungswürdig und lobenswert, wie manche wenige es noch vermögen, kleine authentische Momente zu schaffen. Die Vesper in der Dresdner Kreuzkirche zählt nach wie vor dazu, man kann nur anerkennen und staunen, wie das Haus und seine Gemeinde dies schaffen, realisieren, werden doch die Bedingungen immer schwieriger, zudem muß man jederzeit mit kurzfristigen Änderungen rechnen. Ganz ohne Gesang (auch der Gemeinde) und auf eine gute Dreiviertelstunde reduziert gelang es Kreuzorganist Holger Gehring (Leitung und Orgel), Christine Gagelmann (Barockvioline) und Pfarrer Holger Milkau (Liturg) dennoch, eine andachtsvolle Vesper zum Vierten Advent zu gestalten und sich den Besuchern bei größtem räumlichen Abstand doch zuzuwenden. Zweifel, Unsicherheit und Ängste blieben dabei spürbar – sie sind für uns zum Teil dieser Tage geworden und können schließlich nicht einfach »abgestellt« werden. Gerade im Ringen um Zuversicht und Hoffnung, in der stetigen Hinterfragung und Auseinandersetzung, liegt ja immer eine Herausforderung des Glaubens, manchmal auch des täglichen Lebens.

Musikalisch führte Holger Gehring zurück ins 17. Jahrhundert, in Zeiten und zu Menschen, die ebenfalls von tiefen Krisen gezeichnet waren und diese bewältigten. Zwar konnte man meinen, die Stimmung, die Musik, würde sich immer weiter öffnen, würde festlicher, je weiter man sich dem Weihnachtsfest nähert, doch Georg Muffats Toccata prima (Jehmlich-Orgel) war zunächst von einem getragenen Charakter gekennzeichnet, aus dem die festliche Würde jedoch trotzdem hervorstrahlte.

Zum musikalischen Kern der Vesper zählten drei der Mysterien-Sonaten Heinrich Ignaz Franz von Bibers, auch als Rosenkranz-Sonaten bekannt. Der Komponist spürte darin Bibelbildern nach, experimentierte aber explizit auch mit Bogentechnik und Skordatur (Abweichungen in der Saitenstimmung). Biber hatte den Sonaten im Druck jeweils die Bibelstellen illustrierende Kupferstiche vorangestellt, die im Programm ebenfalls abgedruckt waren. Die aufgeführten Sonaten beziehen sich mit den Teilen »Die Verkündigung«, »Die Heimsuchung« und »Die Geburt Christi« auf das Weihnachtswunder, sind aber keine musikalisch-illustrativen Schilderungen, sondern technisch anspruchsvolle, differenzierte und virtuose Stücke, beinahe Étuden, welche vom Spieler oder der Spielerin ein Höchstmaß an Präzision und Kunstfertigkeit abverlangen. Christiane Gagelmann kam dem eindrucksvoll nach, wechselte zwischendurch das Instrument (mit anderer Stimmung) und verband in der einzelnen Stimme Innigkeit und freudigen, hoffnungsvollen Ausruf. Bibers Stil könnte man teilweise beinahe rhapsodisch nennen – wie passend, wenn man den Ausgangspunkt der Textpassagen bzw. Bilder bedenkt. Holger Gehring hielt die Sonaten von der Wegscheider-Orgel aus geschmeidig umfaßt, sowie solo mit Johann Pachelbels Magnificat quinti toni, das zunehmend musikalisches Licht verbreitete, und Edward Bairstrows »Veni, veni Emmanuel« zum Abschluß bewies er wieder einmal, wie feingliedrig und geschmackvoll das Truheninstrument zu klingen vermag.

Zwischen den Sonaten trug Holger Milkau in fünf Lesungen Texte zur Verkündigung, Heimsuchung und zur Geburt Christi vor – keine »Märchenerzählung«, sondern Passagen mit einem direkten Bezug auf uns, auf die Zeit, welche das Ringen um Zuversicht, die Hoffnung des Weihnachtsfestes blieben spürbar.

Fast könnte man den Eindruck gewinnen, daß die Vesperprogramme in diesen Tagen der Einschränkungen noch fokussierter geraten. Auf jeden Fall berühren sie, gerade weil sie inhaltlich so sinnvoll und stimmig sind. Sowenig wie Kunst »schön« zu sein hat, kann man hier von einer »Ablenkung« sprechen. Das schlägt sich nicht zuletzt in einem disziplinierten Verhalten der Besucher nieder – jedem ist bewußt, daß solche Möglichkeiten erhalten bleiben sollten.

20. Dezember 2020, Wolfram Quellmalz

Über Gottesdienste und Andachten während der Feiertage und den Jahreswechsel informieren Sie sich bitte auf der Internetseite http://www.kreuzkirche-dresden.de

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