Kalkül, Methode, Harmonie

Schon in den Aufführungen der Reihe »Alte Meister«, welche die Neuen (musikalischen) Blätter vollständig verfolgt haben, war Iannis Xenakis‘ »nomos alpha« ein Höhepunkt gewesen. Am Dienstag fand das Werk im Musikalischen Online Salon von Matthias Lorenz eine neue Widerspiegelung.

Die Teilnehmerzahl des MOS ist weiter gewachsen, diesmal waren acht aktive Mitwirkende permanent dabei, eine Teilnehmerin nutzte die Möglichkeit, den YouTube-Stream zu verfolgen und für eine Wortmeldung vorübergehend auf die Zoom-Plattform zu wechseln. Dort, wo sich wie schon zuletzt Musiker und Komponisten aus Deutschland und Europa versammelt hatten, ging es diesmal besonders lebhaft zu.

Die aktiven Teilnehmer auf Zoom, Photo: NMB

Nach einem kurzen An- oder Einspiel eröffnete Wolfgang Bosse den Abend mit einem Text zum Determinismus in der Kunst. Dabei ergaben sich schon manche Parallelen, die Bosse zwischen Bildender Kunst, Architektur und Musik aufzeigte oder andeutete und als »Weg von der Abstraktion zur sinnlichen Erfahrung« beschrieb. Er selbst ist übrigens – wie es Iannis Xenakis war – in allen diesen Disziplinen zu Hause oder mit ihnen verbunden.

Mit einigen Photos und Videos wurde Bosses Vortrag anschaulich. Den Zusammenhang von Mathematik und Kunst verdeutlichte zum Beispiel die Konstruktion bzw. Herkunft von Paraboloiden und daraus folgend die Ableitung von Figuren und Strukturen. Wolfgang Bosse griff als Beispiel den Philips-Pavillon der Brüsseler Weltausstellung 1958 auf (Entwurf von Le Corbusier), an dem Iannis Xenakis als Architekt beteiligt war (dazu gibt es einen Artikel in der Zeitschrift Bauen und Wohnen, Ausgabe 13 von 1959, der online zu finden ist).

Wolfgang Bosse stellte in seinem Vortrag Determinismus in Naturwissenschaft und Kunst dar, Photo: NMB

Das anschließende Gespräch um Determinismus und dessen Bedeutung war dann sehr rege. Vor allem der in London lebende Komponist Gilberto Agostinho (schon aus den letzten MOS bekannt) und der aus Paris zugeschaltete Dirigent Bruno Ferrandis gaben immer wieder interessante Einblicke und Anregungen, so daß sich – durch Wolfgang Bosse um weitere Aspekte der Künste ergänzt – sowohl der Blick auf den Komponisten, wie auf sein Werk und dessen Aufführung veränderte, nahbarer wurde. Gleichzeitig war der Salon frei genug, sich von einem strikten (»determinierten«) Diskussionspfad auch einmal zu entfernen oder vom Interpreten zu erfahren, wie er mit den Tempovorgaben des Komponisten umgeht.

Es lohnt also, gerade den MOS #3 noch einmal nachzusehen, was über die Seite des Initiators ganz leicht ist. Nach etwa 52:30 min gibt es dann die vollständige Aufführung des Stückes – wessen Neugier geweckt ist, der kann im Internet verschiedene Versionen vergleichen. Manche, die bei der Suche auf YouTube weit oben erscheinen, klingen zunächst weicher, gefälliger, doch wer sich »einhört« der vermißt hier wohl die Spannkraft. Matthias Lorenz‘ Spiel ist zupackender, rustikaler, mitreißender, behielt dabei seinen authentischen Charakter der Einmaligkeit (bisher hatte Matthias Lorenz »nomos alpha« an 31 Abenden gespielt). Wolfgang Bosse folgerte, daß Xenakis‘ Stück aufwühlend sei.

Das Erleben ist wohl grundsätzlich ein anderes, wenn man Komponist ist oder Musiker oder Zuhörer – sie sind schließlich alle nicht nur ganz unterschiedlich beteiligt, sondern (durch Wissen und Erfahrung) auch unterschiedlich beeinflußt. Hier nun konnte man emotional eine Musik erfahren, deren wesentliche Gestaltungsmerkmale in mathematischen Strukturen verankert sind – hoffentlich nicht zum letzten Mal!

MOS #4 gibt es am 23. März, 19:30 Uhr. Eine Woche zuvor veröffentlicht Matthias Lorenz wieder ein Vorschauvideo. Beides ist, wie auch die Videos zu den bisherigen MOS und einen Text zum Stück »nomos alpha« hier: http://www.matlorenz.de/mos

Thema des vierten Salons ist das Stück »A synder’d vastness« von Ian Wilson. Leider mußte das geplante Konzert im März abgesagt werden, so kommt es statt dessen zu einer Uraufführung im MOS.

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