Kreuzvesper zu Okuli
Vor dem dritten Sonntag der Fastenzeit, dem ersten im März, durften in der Dresdner Kreuzkirche nach fast einem viertel Jahr wieder Lieder erklingen. Annekathrin Laabs gestaltete vier der Sechs religiösen Gesänge Opus 157 von Josef Gabriel Rheinberger sowie das Geistliche Lied nach dem Wort zum Sonntag.
Mit dem Adagio im freien Styl Opus 35 von Gustav Adolf Merkel hatte Kreuzorganist Holger Gehring die Kreuzvesper begonnen und ihr damit einen romantischen Gestus aufgeprägt, den Rheinbergers Gesängen und zwei Studien Robert Schumanns noch weiter verstärkten. Mit einer dynamischen Hebung im Mittelteil stand das Adagio nicht allein für ein Beginnen, sondern auch für eine Öffnung. Der geradezu liebliche Charakter hob den sonst oft dramaturgisch zugespitzten Kontrast von in der Passionszeit aufgeführten Werken beinahe vollkommen auf.
Auch im folgenden standen eher das Anrühren, die Stimmung im Vordergrund denn eine betonte Botschaft – der Inhalt vermittelte sich auch so. Rheinbergers »Sehet, sehet, welche Liebe« und »Wenn alle untreu werden« sang Annekathrin Laabs nicht im Altarraum, sondern von der Orgelempore aus. Das mag zwar mit dem Hygienekonzept geschuldet gewesen sein, doch setzten Sängerin und Organist die Lieder zudem in artifiziell gestalteten, höchst romantischen Wohlklänge um, die im Innersten zu berühren vermochten. Insofern war der für die Solistin akustisch (in bezug auf die Verständlichkeit) nachteilige Ort kein Problem, ohnehin hatten alle Besucher den Text zum Mitlesen in den Programmheften. Höchst interessant war die Verbindung von Emphase und Inhalt – Rheinbergers Gesänge boten geradezu einen Wohlklang! Annekathrin Laabs ließ die Kantilene tragend im Vordergrund bestehen, gab dem Text durch ihre Stimme im Verlauf eine Richtung und hob einzelne Worte gerade in Wiederholungen heraus.
Inhaltlich bezog sich die Vesper auf das Motto des Sonntags Okuli, auf die konsequente Nachfolge und das Vorangehen Jesu (Geistliches Lied). Superintendent Christian Behr griff die romantische Gottesnähe der Lieder auf, erweiterte das Thema der Nachfolge und erinnerte an die Dichterin Julie Hausmann (1826 bis 1901) des bekannten und in den Gemeinden immer wieder gewünschten Liedes »So nimm denn meine Hände«.
An Stelle des Gemeindegesangs trug Annekathrin Laabs »Jesu, geh voran auf der Lebensbahn!« aus dem Treppenhaus hinter dem Altar vor, so daß ihre Stimme a cappella wie von weiter Ferne (als Anrufung) zu vernehmen war. Nur die letzten beiden Zeilen begleitete Holger Gehrung (sehr leise) an der Jehmlich-Orgel. Mit einem sehr romantischen Bekenntnis (»Vaterunser« in gereimter Form von Friedrich Dornbusch) und dem »Nachtgebet« schloß die Solistin die Auszüge aus Rheinbergers Liedern ab.
Holger Gehring hatte vor dem Geistlichen Lied ein Choralvorspiel zu »Jesu, geh voran« von Carl Piutti eingefügt, mit zwei Studien aus Robert Schumanns Opus 157 (eigentlich für den Pedalflügel) danach sowie am Ende der Vesper sorgte er für eine geschlossene Form der romantischen, emotional zugewandten Vesper. Auch in Schumanns Studien findet sich die Liedform wieder, dem Adagio (Nr. 6) scheinen gar Frage und Antwort innezuwohnen, vor allem aber eine ohne jedes Pathos oder Verklärung verfälschte Schönheit.
7. März 2021, Wolfram Quellmalz
Der für den Mittwoch geplante Auftakt des Dresdner Orgelzyklus mußte leider abgesagt werden. Für den kommenden Sonntag ist zum Jubiläum 650 Jahre musikalische Vespern in der Kreuzkirche vor dem Sonntag Laetare eine besondere Kreuzvesper vorgesehen, an der die Capella Sanctae Crucis Dresden mitwirken soll. Information zur Veranstaltung und zu weiteren Terminen finden Sie unter: http://www.kreuzkirche-dresden.de