Dresdner Festspielorchester und Ivor Bolton holen Beethoven-Feier nach
Theoretisieren hätte man durchaus können, in welcher Reihenfolge Ludwig van Beethovens Sinfonien Nr. 5 und 6 zu spielen seien – im Rahmen seiner Akademie am 22. Dezember 1808 hatte der Komponist die idyllische sechste an den Beginn gesetzt und den zweiten Teil mit der energieberstenden fünften begonnen. Ob die für die Konzerte im Dresdner Kulturpalast am Sonnabend gewählte »numerische Reihenfolge«, ohne Pause zumal, gut wäre?
Der Beginn begeisterte auf jeden Fall! Vielleicht klingt das Dresdner Festspielorchester unter Ivor Bolton noch authentischer, vielleicht ist es schlicht die Atmosphäre der Originalität eines Saales, die vergangene Woche noch fehlte und nun spürbar wurde – gleich mit den ersten Takten warfen sich Ivor Bolton und das DFO in ein Überfest mit Beethoven. Kurz, kernig, kantig fiel der Anlauf aus, Bolton putzte Affekte heraus, blieb aber immer am musikalischen Kern – das Übermaß der Schau dienender Effekte sparte er aus. Und so konnte man wieder diesen Klang wahrnehmen, an dem so viel ist, in dem so viel steckt, in dem so viel zu entdecken ist, wie die Linie der Hörner, die nach der Eröffnung keineswegs verstummen. Die Holzbläser munterten das Geschehen, das immer wieder von der Pauke angetrieben wurde, auf, die Blechbläser funkelten in mannigfaltigen Schattierungen. Die Mär vom »Schicksalsmotiv« klingt viel zu schulmeisterlich im Vergleich mit dieser Aufführung, und wenn, dann trat dieses Schicksal Türen ein! Samtene Streicher wußten diesen Furor aber zu zügeln.
Eine gespannte dunkle Ruhe voller Akzente verbreitete das Andante con moto, mit dem Scherzo: Allegro wehte erneut Aufbruchstimmung durch den Kulturpalast. Die Erfrischungen, die das DFO zur Verfügung stellte, gingen weit über kecke Holzbläser hinaus, schon das dichte Tremolo der Violoncelli und Kontrabässe wirkte ansteckend (und spannungsgeladen, nicht schicksalsschwer). Ivor Bolton ließ dem aber viel Bedächtigkeit, bevor er – einem Magnetiseur gleich – im Allegro des Finales das »Schicksal« selbst in die Hand nahm, präzise und kraftvoll, ein Sturm, dem man als Publikum tatsächlich ein wenig ausgeliefert war.
Die beiden Sinfonien sind so unterschiedlich, wie Geschwister mitunter geraten. Doch die Sanftmut und das Idyll der »Pastorale« gelangen dem Orchester so glaubhaft, daß der Unterschied der Temperamente schnell vergessen war – es fühlte sich einfach gut an. Die Streicher klangen nun, vor allem mit Dämpfer, seidig, niemals seicht, das »Gezwitscher« der Holzbläser mit Robert Oberaigner (Klarinette) aus der Sächsischen Staatskapelle klang noch eine Spur kecker, derweil sich die Fagotte von ihrer anmutigsten Seite zeigten. Kontrabässe und Hörner ließen den Donner grollen, der sich kurz darauf aufs Prächtigste entlud. Eine Entladung, die ungefähr zeitgleich ebenso draußen stattfand – war das etwa auch Boltons Werk? (Wenn ja: Vielen Dank, daß die Besucher trockenen Fußes nach Hause kamen!)
Das Schlußwort gelang in strahlender Schönheit – die Atmosphäre war bereinigt und spätestens jetzt klar, daß die Reihenfolge fünf-sechs die richtige gewesen ist. Was ebenso für das Ereignis wie für das Publikum sprach: Wie schon am Vorabend bei Arcadi Volodos gab es nach dem letzten Ton eine kurze, andächtige Pause, bevor der Applaus – stehend geboten – losbrach.
6. Juni 2021, Wolfram Quellmalz
Das Juni-Festival der Musikfestspiele bietet in der kommenden Woche noch Konzerte im Dresdner Kulturpalast und im Stallhof des Residenzschlosses und endet am 13. Juni mit einem Konzert von Pablo Sáinz-Villegas (Gitarre) und Jan Vogler (Violoncello). Mehr dazu unter: http://www.musikfestspiele.com