Brahms und der Schmetterling

Kirill Gerstein zu Gast bei der Dresdner Philharmonie

Noch sind wir nicht ganz da zurück, wo wir gewesen wären, wenn … Das merkt man spätestens, wenn man die aktuellen Konzertprogramme mit der ursprünglichen Planung vergleicht. Für das Sinfoniekonzert der Dresdner Philharmonie am Sonnabend im Dresdner Kulturpalast war Johannes Brahms‘ zweites Klavierkonzert mit dem Gast Kirill Gerstein aber geblieben, auch da, wo es von vornherein platziert gewesen war: am Ende des Konzertes. Also dort, wo eigentlich die Sinfonie erklingt. Immerhin sagt man Brahms‘ Konzerten ja nach (oder bemängelte es zu Zeiten der Uraufführungen gar), sie seien die sinfonischsten ihrer Art.

Den Beginn hatte Dirigent Lionel Bringuier jedoch ändern bzw. kürzen müssen. Statt Berlioz und Lutosławski gab es Albert Roussels Ballettmusik »Le Festin de l’Araignée«. In sieben nicht voneinander getrennten Teilen illustriert Roussels Werk einen Garten mit Ameisen, Schmetterlingen und Eintagsfliegen, schafft mit Streichern eine Gartenlandschaft, in der alsbald ein Tummeln beginnt. Mit zwar nicht lauten, aber schnellen Trommelschlägen nahen die Ameisen – es ist eine wuselige Invasion. Nach und nach schien der Garten zu erwachen, der philharmonische Wirbel stand für ein Öffnen, eine Hinwendung, Belebung. Die Holzbläser, allen voran Flöten (Kathrin Bäz) und Oboen (Undine Röhner-Stolle), die Harfe (Sarah Christ) und Celesta (Johanna Lennartz) sind natürlich die perfekten Insektenimitatoren, aber auch Klarinette (Fabian Dirr) und Hörner (erneut Sarah Ennouhi als Gast) trugen zu Farbigkeit und Luftigkeit bei.

Lionel Bringuier gestaltete das kleine, bildhafte Werk ungemein geschmeidig als Metamorphose, die vom Schlüpfen der Eintagsfliegen bis zu deren theatralischer Beisetzung reichte – dem Werk ist ein phantastischer Humor nicht abzusprechen. Vor allem aber gefiel es in der klaren Bildzeichnung und – als Höhepunkt – dem capricieusen Tanz des Schmetterlings.

Der Sprung vom französischen Impressionismus zu Johannes Brahms‘ schien groß. Im Vergleich kam das sinfonischste Klavierkonzert gerade anfangs wuchtig daher, schienen die Blechbläser gegenüber den Streichern »übergewichtig«. Doch bald schon wurde auch klar, weshalb sich der Dirigent für eine »amerikanische Sitzordnung« mit Violinen links und tiefen Streichern rechts entschieden hatte – die Geschlossenheit und Homogenität des Orchesters war ihm wichtig, das thematische Gegenüber weniger. Und so wuchs ein monolithischer, titanischer, romantisch-feiner Brahms in den Konzertsaal, der immer wieder dazu aufzufordern schien, genau hinzuhören und nicht nur eine Folge bekannter Töne zu erwarten. Kirill Gerstein nahm die Allegro-Sätze kraftvoll, markant, zeigte aber schon hier eine große Geneigtheit zur Differenzierung, im Andante und Allegretto formte er um so feiner aus, was der Komponist geschrieben hatte.

Im sinfonischen Miteinander gab es immer wieder kammermusikalische Momente, wie die Zwiesprache mit dem Horn (Ennouhi) zu Beginn, überhaupt war die Horngruppe glänzend! Später gab es weitere Sonatenduette mit der Klarinette und natürlich mit dem Cello (Ulf Prelle), der Beginn und Ende des dritten Satzes krönte. Nach den mit Feuer präsentierten ersten beiden Sätzen schien es gar, als kehrte Roussels Schmetterling für einen Moment wieder – nicht sinfonisch, kammersinfonisch ist das Werk also, haben wir gelernt, und immer wieder zogen es die dunklen Streicher verführerisch in ihre Mitte.

Nur eine Zugabe fehlte da, etwas mehr Brahms wäre (noch) schöner gewesen!

4. Juli 2021, Wolfram Quellmalz

Bis zum Beginn der Ferien bietet die Dresdner Philharmonie noch ein großes Programm mit Kammermusik, Familien- und Sommerkonzert (beides im Rahmen der Filmnächte am Elbufer), Liederabend und einem großen sinfonischen Saisonabschluß. Mehr unter: www.dresdnerphilharmonie.de

CD-Tip: Wenn Sie Kirill Gerstein einmal anders kennenlernen wollen, sei Ihnen seine Aufnahme aus dem letzten Jahr empfohlen: Thomas Adès »In Seven Days« für Klavier & Orchester, mit Kirill Gerstein (Klavier), Thomas Adès (Leitung, Klavier), Tanglewood Festival Orchestra, Myrios

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