Heinrich Schütz Musikfestes und Festjahr

Doppelter Anfang in der Dresdner Frauenkirche

Das Gedenkjahr (350. Todestag) wird zum Festjahr – unter dem Signet eines stilisierten »und »Schütz22« feiert die Mitteldeutsche Barockmusik in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen e. V. den Jahrhundertkomponisten und beruft sich auf Heinrich Schütz selbst: »Weil ich lebe«, so das Festmotto, ist ein Zitat, das nicht nur eine Brücke in die Vergangenheit schlägt, sondern inhaltlich stützt: »Vnterthänigster Gehorsambster Diener, weil ich lebe Henrich Schütz«. So unterzeichnete der Sagittarius seine Widmung der Psalmen Davids an seinen Dienstherrn am 1. Juni 1619. Schütz erlebte nicht nur persönliche Rückschläge und Verluste, neben weiteren Krisen der Epoche stand sein Dienstantritt in Dresden unter dem Zeichen des Dreißigjährigen Krieges, der ein Jahr zuvor begonnen hatte.

Ganz dem Leben zugewandt erklangen am Freitag zehn der Psalmen Davids in der Frauenkirche. Nach dem Auftakt des diesjährigen Musikfestes am Vortag in der Marienkirche Weißenfels und am Geburtstag Heinrich Schütz‘ wurde damit zudem das Festjahr Schütz 22 eröffnet. In diesem Rahmen soll bis zum Todestag (6. November) des kommenden Jahres auch über den Zeitraum des HSMF hinaus Schütz‘ Musik erklingen. Unter anderem ist im Mai eine Festwoche in der Dresdner Schloßkapelle, Schütz‘ wichtigster Wirkungsstätte, geplant.

Die Ehre der Eröffnung fiel Paul McCreesh und seinen Gabrieli Consort & Players zu. Nach der Begrüßung und Eröffnung (drei Reden in elf Minuten – daran kann sich mancher ein Beispiel nehmen) zeigte Paul McCreesh, was er unter einer »instinktiven Beziehung zur Musik« versteht – der Brite ist kein ausgewiesener Experte der Alten Musik oder gewiefter Kenner der historischen Aufführungspraxis. Er sucht einen unmittelbaren Zugang, bei Heinrich Schütz ebenso wie bei anderen deutschen Komponisten – Bach, Mendelssohn, Hindemith und Mahler nannte der Dirigent in seinen Dankesworten am Schluß in einem Atemzug. Der Raum der Frauenkirche, »einer der schönsten Kirchen in Deutschland« und ein »großartiges Symbol für Hoffnung, Triumph und Versöhnung« begeisterte ihn nicht nur sehr, McCreesh versuchte, deren räumliche Dimensionen auszuloten. Je nach Stimmigkeit und Instrumentierung positionierten sich die Gabrieli Consort & Players immer neu im Kirchenschiff, im Altarraum und auf verschiedenen Emporen. Die häufigen Umstellungen begleitete oft eine der beiden Orgeln, womit dem Abend allerdings eine gebannte Atemlosigkeit widerfuhr – öfter loslassen und zur Ruhe kommen hätte durchaus gutgetan.

Und man hätte es gebraucht, denn McCreeshs instinktiver Ansatz ist äußert expressiv, beginnend beim kraftvoll singenden Chor bis hin zu den dialogisch zugeordneten (Blech)bläsern. Das sorgte einerseits für eine Festatmosphäre und animierte das Publikum bis zu Stadionjubel (muß das sein?), andererseits wirkte es schier erdrückend, ganz abgesehen davon, daß man viele der Psalmen nicht verstehen konnte und selbst beim Mitlesen Mühe hatte. Zwar hat Heinrich Schütz nicht nur (absolut!) affektive Musik geschrieben, er trug auch wesentlich dazu bei, diese zu etablieren, doch solche Masse machte den Affekt oft zum Effekt. Für wohltuende Entspannung sorgten »Aus der Tiefe ruf ich, Herr, zu dir« (SWV 25) und »Der Herr ist mein Hirt« (SWV 33).

Mitreißend und farbenprächtig war es allerdings – die »andere« Lesart Schütz‘ ob man sie nun »korrekt«, »historisch informiert« oder anders nennen mag – gibt es in den nächsten Tagen und noch bis zum Sonntag dieser Woche an vielen Orten beim HSMF zu erleben. Das Freitagskonzert wurde im Radio übertragen und kann über die Seite des mdr nachgehört werden. Deutschlandfunk Kultur strahlt die Aufnahme noch einmal am 31. Oktober aus.

10. Oktober 2021, Wolfram Quellmalz

Mehr unter http://www.schütz-musikfest.de und http://www.schütz22.de/

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