Sächsische Staatskapelle mit Beethovens Tripelkonzert und Brahms‘ vierter
Fast wäre es ein Aufführungsabend gewesen, eines jener vom Tonkünstlerverein Dresden initiierten Konzerte, in denen man gerne neue Dirigenten erprobt und Solisten aus den eigenen Reihen nach vorne läßt. Doch dieser Abend bzw. Vormittag war größer. Mit Myung-Whun Chung war kein unbekannter als Dirigent und Pianist gekommen, sondern der Erste Gastdirigent der Sächsischen Staatskapelle, mit der vierten Sinfonie von Johannes Brahms war aber auch das Werk zu gewichtig für einen Abend in Kammerorchesterformation. Statt einer Aufstellung vor dem Schmuckvorhang in der Semperoper (bei Beethoven vielleicht noch denkbar) war statt dessen wieder das große Konzertzimmer gefragt. Und das erlebte Beethoven und Brahms von der gediegensten Seite.
Als Solisten waren neben Myung-Whun Chung die Konzertmeister Matthias Wollong (Violine) und Norbert Anger (Violoncello) an Beethovens Opus 56 beteiligt. Ein größeres inniges Verständnis hätte man sich wohl kaum denken können, sowohl der drei Solisten untereinander als auch mit der Kapelle. (Ganz anderes noch als zur letzten Aufführung des Werkes mit Anne-Sophie Mutter, Lynn Harrell und Yefim Bronfman, die drei individuell vollkommen verschiedene Interpreten waren.) Es tat dem Werk, das zwischen Konzert und Sinfonie steht, sicherlich gut, und so durfte zunächst das Orchester für ein Heraufdämmern sorgen, aus dem sogleich ein Hintergrund in schönsten Herbstfarben für die beiden Streicher wuchs. Norbert Anger und Matthias Wollong begaben sich von der ersten Note in ein Gesangsduett, das von einer Zweisamkeit geprägt war, wie sie ihresgleichen sucht. Statt virtuoser Schau, worin der eine den anderen doch immer zu übertrumpfen sucht, lag dem Musizieren hier ein kammermusikalischer Gedanke zugrunde. Myung-Whun Chung fügte dem einen Klavierpart hinzu, der seinen beiden Mitstreitern an Gediegenheit und Gestus in nichts nachstand – nur im Anteil (was ihm mehr Freiheiten beim Dirigieren erlaubte, indes genügte oft – schließlich hatte man gemeinsam geprobt – oft ein verständigender Blick). Beethoven hat es so gewollt – das Tripelkonzert ist eben keines für Klaviertrio und Orchester.
Das Largo konnte sich so ganz liedhaft entfalten (als sei es für die ferne Geliebte gedacht), worin sich ein fabelhaftes Intermezzo-Duett zwischen Norbert Anger (Beethoven ließ dem Cello tatsächlich meist den Vortritt) und Matthias Wollong entspann. Im Rondeau alla Polacca fand das Werk seinen glücklichen Ausgang, dessen Ende Myung-Whun Chung im Dirigat ein wenig kurz, fast zu trocken faßte.
Bei Brahms fanden die drei schließlich wieder zusammen, als die beiden Konzertmeister zurück ins Orchester rückten. Jedoch nicht, ohne sich vorher mit noch einmal in einer delikaten Beethoven-Zugabe (Adagio aus Opus 11) zusammenzukommen.
Brahms dämmerte in seiner vierten Sinfonie keineswegs herauf, er schien in die Semperoper einzuschweben, zu wachsen, zu strömen. Ein webendes Innehalten gibt es zuweilen, Sillstand dagegen war Brahms‘ Sache nicht. Der Komponist faßte sein Werk noch enger als Beethoven, noch sinfonisch-dichter, so daß man einzelne Solisten kaum mehr wahrnahm, weil jeder an einem Gesamten beteiligt war. Während sich das Andante geheimnisvoll in alle Richtungen ausbreitete (wie wogender Nebel in einem Tal voller Kirschbäume), sprudelte das nachfolgende Allegro giocoso (als Scherzo) quicklebendig daher. Im letzten Satz fand sich Beethovens Dämmerung wieder, kam in Fluß und durfte sodann – Brahms ist eben Brahms und nicht Beethoven – ungestüm poltern. Plötzlich tauchten kleine, beinahe zaghafte, um so bezauberndere Soli der Holzbläser (Flöte / Sabine Kittel, Oboe / Bernd Schober, Klarinette / Robert Oberaigner) auf, weckten den Choral der Blechbläser – fabelhaft!
11. Oktober 2021, Wolfram Quellmalz
Heute noch einmal: Sächsische Staatskapelle Dresden, Myung-Whun Chung (Klavier und Leitung), 20:00 Uhr, Semperoper Dresden, Ludwig van Beethoven: Tripelkonzert Opus 56, Johannes Brahms: Sinfonie Nr. 4, Opus 98.