Hölderlins Lieder

Lied in Dresden huldigt einem großen Dichter

Wie schön, daß diese Reihe fortbesteht: das Lied in Dresden wird in der Spielzeit 2021 / 22 weiter zu erleben sein. Zum Auftakt gab es gestern einen ganz besonderen Abend, welcher nicht nur Texte, sondern auch die Person und das Leben (Johann Christian) Friedrich Hölderlins in den Mittelpunkt rückte. KS Prof. Olaf Bär, Leiter der Liedklasse, las dazu aus Peter Härtlings großartigem Roman »Hölderlin«.

Für das Lied-Gut sorgten die Alumni Marie Hänsel (Sopran), Jonas Finger (Tenor), Sinhu Kim (Bariton) und Jussi Juola (Baßbariton), begleitet von Prof. Ulrike Siedel (Klavier). Sie ließen eine Welt erstehen, vielmehr Welten, die aus Hölderlins Worten schöpfen. Denn sie [die Welten] sind nicht nur zutiefst romantisch, sie geraten zuweilen fragil, lichtscheu, bedroht, eingesperrt, auf der Flucht …

Hanns Eisler hat in seiner Vertonung des Zeilen »Wie wenn die alten Wasser …« gar den Titel »Der Frieden« in eine »Elegie 1943« umgedeutet. Marie Hänsel leuchtete diese wie andere (unter anderem noch Viktor Ullmann »Sonnenuntergang«, »Der Frühling«) emotional aus – hier fügte die Opernsopranistin der teilweisen Nüchternheit und Moderne die Emphase eines schlagenden Herzens hinzu.

Überhaupt ergab sich die Auswahl oder Zuordnung der vier Sänger zu bestimmten Komponisten teilweise sehr glücklich. So wie Marie Hänsel Eisler und Ullmann sang, verlieh Jonas Finger gerade den Liedern von Benjamin Britten mit seiner in der Höhe zunehmend hell-aufstrebenden Stimme eine Expressivität und romantische Dichte, die an Peter Pears‘ erinnerte. Benjamin Britten hatte mit einer zu Herzen gehenden Melancholie die »Hälfte des Lebens« – nicht einfach »vertont« –sondern aufgefaßt, nachgefühlt. »Gelbe Birnen« und »wilde Rosen«, Begriffe, die das Leben, Jugend, Blüte und Frucht symbolisieren, sind hier von tiefer, wissender Traurigkeit durchzogen.

Gleich zu Beginn hatte Jonas Finger ein ganz anderes Türchen geöffnet – wann hört man schon einmal Werke, geschweige denn Lieder von Joseph Matthias Hauer? »Lebenslauf« wurde schlicht zum Lebenslaut!

Insofern waren die von Olaf Bär vorgetragenen Lesestellen zu viel und oft zu lag – sie hätten ein eigenes Format finden sollen. Denn manche der Passagen, etwa Hölderlins erzwungene Trennung von Susette Gontard, der »Diotima« aus dem »Hyperion«, oder über seine zunehmende Erkrankung, waren eigene dramatische Höhepunkte – das nahm den Liedern jedoch den Raum. Überhaupt wäre es wohl glücklicher gewesen, die Lieder mehr in Blöcken zu ordnen und weniger zu unterbrechen.

Entdeckung, kleine Perlen gab es in Fülle – man mußte sie nur wahrnehmen. Wolfgang Fortners »Hyperions Schicksalslied« oder Paul Hindemiths »An die Parzen« und »Ehmals und jetzt« zum Beispiel (Sinhu Kim). Manch einer mag bei der Ankündigung des Programms und den genannten Sängernamen auch gehofft haben, daß der famose Jussi Juola mit seiner leuchtkräftigen Stimme in mehr als nur zwei Liedern zu erleben wäre. (Man kann nur hoffen, daß er einmal von seinem neuen Lebensort Rostock für einen eigenen Liederabend nach Dresden zurückkehrt.) Auch er beteiligte sich an der Wiederentdeckung Joseph Matthias Hauers (»Der gefesselte Strom«), doch vor allem Wolfgang Rihms unglaubliche Vertonung von Gedichtfragmenten sorgte für kalte Schauer – der Baßbariton war neben Jonas Finger eine der besonders starken Stimmen dieses Abends. In Diktion und Artikulation blieb er liedhaft vorbildlich, weil er eben klar verständlich bleiben kann, ohne zu »stelzen«.

20. Oktober 2021, Wolfram Quellmalz

Die nächste Begegnung mit dem Lied in Dresden gibt es am 8. November, 20:00 Uhr, in einer Kooperation mit der Reihe »Young Artists« in der Dresdner Frauenkirche. Weitere Informationen unter: http://www.frauenkirche-dresden.de sowie http://www.hfmdd.de

Buchtip: Peter Härtling »Hölderlin«, Roman, 1976 bei Luchterhand erschienen. Neu bei Kiepenheuer & Witsch oder dtv.

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