Pittoresker Abschluß

Jean-Yves verschönert die traurige Schließung des Kulturpalastes

Weit davon entfernt, einen »Vorteil« in »dieser Situation« zu sehen, bleibt doch festzustellen, daß man die Préludes von Claude Debussy bei uns kaum einmal en suite hört, geschweige denn alle 24 Stück der beiden livres. Einzelne, wie das »Mädchen mit dem flachsfarbenen Haar« oder »Die versunkene Kathedrale«, erfreuen sich dagegen einer großen Bekannt- und Beliebtheit. Wer allerdings den ganzen Zyklus hören will, muß gewöhnlich zur CD greifen, die aber auch nicht immer ein Garant ist, denn selbst Jean-Yves Thibaudets eigene Aufnahme ist seit längerem vergriffen.

Insofern waren die beiden Konzerte des Residenzkünstlersder Dresdner Philharmonie am vergangenen Wochenende im Dresdner Kulturpalast einerseits mit dem »zwar« verbunden, ein Ersatz für das ausgefallene Sinfoniekonzert (mit dem Franzosen als Solisten) zu sein, auf der anderen Seite kam sein Publikum nun in den Genuß aller 24 Préludes. Bei aller Regelmäßigkeit, Ausgeglichenheit und Wohlproportioniertheit der Zahl zeigte sich aber gleich, daß es hier weniger um Strukturen und Tonarten geht wie im »Wohltemperierten Klavier«, selbst wenn der Komponist einmal gar »Die alternierenden Terzen« auf den Titel gesetzt hat. Vielmehr handelt es sich erneut um Bilder, quasi die Vollendung der viele Jahre zuvor entstandenen Images.

Höchst eindrucksvoll war, daß Jean-Yves Thibaudet diese Bilder nicht »französisch« kolorierte, nicht allein auf die Imagination der Impressionisten setzte, sondern ebenso einen feinen »Pinsel« nutzte, um ebenso leichte, ephemere Gebilde (»Voiles« / »Schleier« bzw. »Segel«) zu zeichnen, wie er auch einmal expressiv und fast derb werden konnte. »La Puerta del Vino« (»Die Weinpforte«) gab er mit beherztem Schwange wieder, verzerrte das Bild aber nicht zur Karikatur.

Ohnehin gab es viel(schichtiges) zu entdecken, wie bei »Les sons es les parfumes tournent dans l’air du soir« (»Klänge und Düfte erfüllen die Abendluft«). Denn es handelt sich nicht um eine olfaktorische Beschreibung, sondern um eine eingefangene Stimmung – nicht das konkrete Bild, das, was es in uns auslöst, ist entscheidend. Debussy belastet weniger Motive, er schafft schwebende Strukturen, dennoch gibt es darin wiederkehrende (quasi strukturelle) Momente. Diese zu binden, Schwebung zu schaffen und den Wandel zu beleben, gelang Jean-Yves Thibaudet ganz außerordentlich. Trotz der großen Freiheit und Ungebundenheit der beiden Zyklen zeigten sich Gemeinsamkeiten. So hat das »Mädchen mit dem flachsfarbenen Haar« eine relativierende Bedeutung – gleiches trifft im zweiten Buch auf »Bruyères« (»Heide«) zu.

So wie nach und nach der konkrete Inhalt einzelner Bilder an Bedeutung verlor, wuchs die vielfarbige Ausdruckskraft des Gesamtwerkes. Jean-Yves Thibaudet bürstete Wellenkämme auf, ließ Wasserkaskaden und Luftspiralen wirbeln oder Dinge – Vögel, Schleier? – darin ihre Kapriolen schießen. Verzückend war, daß aller Leichtigkeit eine Zielgerichtetheit und ein gestaltender Geist innewohnten.

Die Gleichung, Franzose = französisches Repertoire stellte trotz des ausgewiesenen Programms wohl niemand auf. Und so überraschte die Zugabe, ein Intermezzo Johannes Brahms als wehmütigen Abschluß, am Ende nicht.

Jean-Yves Thibaudet ist Residenzkünstler der Dresdner Philharmonie. Im Februar ist im Kulturpalast ein Kammerabend mit ihm sowie Lisa Batiashvili (Violine) und Gautier Capuçon (Violoncello) geplant, im Juni folgen mit dem Orchester Klavierkonzerte von Maurice Ravel und George Gershwin.

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