Junge Deutsche Philharmonie besuchte Dresden
Als »Das Zukunftsorchester« bezeichnet sich die Junge Deutsche Philharmonie selbst – naheliegend, vereint sie mit Musikstudenten deutschsprachiger Hochschulen doch jene Musikerinnen und Musiker, welche zukünftig den Kern unserer Orchester bilden werden. Oder steckt hinter dem Zukunftsattribut mehr als nur der Nachwuchsgedanke? Das zu ergründen waren die Besucher am Donnerstagabend nach dem Konzert zu einer »After Concert Lounge« im Konzertsaal eingeladen.
Zuvor gab es etwas, was man in dieser Programmatik an sich auch in anderen Konzerten erlebt: drei Werke im klassischen Format, dem Schema Ouvertüre, Konzert und Sinfonie folgend, ohne daß in eng gesetzten Grenzen festgeschrieben wären. Und gleich mit dem ersten, Richard Wagners Vorspiel zum ersten Akt »Lohengrin«, hatte sich das junge Orchester viel vorgenommen, verlangt es doch ein Höchstmaß an innerem Zusammenhalt – etwas, was Projektorchester, die nicht ständig bestehen und sich jährlich so stark wandeln wie die JDP, ad hoc (noch) nicht bieten kann. Gerade zu Beginn war dies spürbar, als Homogenität und Intonation noch nicht den gewohnten Wagner boten, der Klang etwas »dünn« blieb. Mit dem Hinzutreten von tiefen Bläsern und Bässen jedoch wuchs die Kernigkeit.
Zu welchem Klangzauber sich die JDP verführen läßt, machte Dima Slobodeniouk gerade im folgenden Stück deutlich. Der Dirigent, ein »Wiederkehrer«, der Anfang des Jahres schon mit der Dresdner Philharmonie beeindruckt hatte, ließ Esa-Pekka Salonens Konzert für Violoncello und Orchester von 2017 leuchten, blitzen und funkeln – hier, in solchen Stücken zeitgenössischer Musik, zeigt sich die Zukunft wohl am tatkräftigsten, wohl nicht zuletzt, weil sie auf etwas aufbaut, sich mit Historie und Gegenwart verbindet.
Mit Nicolas Altstaedt stand dafür ein erstklassiger Solist zur Verfügung, der mit Freude und Verve zu Werke ging. Esa Pekka Salonen hat es verstanden, ein klangsinnliches Werk zu schreiben, das einem Schönheitsideal folgt, Grenzen erforscht, ohne daß diese »ausfransen«. Der riesige Orchesterapparat mit viel Schlagwerk, Celesta und Marimbaphon sorgte immer wieder für Überraschungen, mit klug eingefädelten Einspielungen, die Reflexionen auf Soli glichen, ergaben sich verblüffende Effekte, fernab von künstlich scheinender elektronischer Musik. Man saß und staunte, meinte eine Glasharmonika zu hören, konnte sich daran ergötzen, wie die Reflexe zwischen den Instrumenten weitergegeben wurde – gibt es ein besseres Zeichen für die Synergie und Kooperation in einem Orchester?
Zunehmend rhythmisch und federnd ging das Werk in den dritten Satz über, das Nicolas Altstaedt wohl allein wirken lassen wollte und ihm (nachvollziehbar) keine Zugabe folgen ließ.
Gegen ein so starkes Zeichen der Gegenwart hatte es die Sinfonische Dichtung »Pelléas und Mélisande« von Arnold Schönberg beinahe schwer. Sie stammt aus Schönbergs romantischer Phase, ufert bis in Mahler’sche Dimensionen aus, verbindet sie mit fast impressionistischen Stimmungsbildern, in denen sich einzelne Blitze, gleißende Violinen wie bei Schostakowitsch finden. Dima Slobodeniouk wahrte seinen Ansatz einer differenzierten, sorgsamen Lesart, gab mit Dynamik spannungsvollen Emotionen nach, ließ sie aber nicht dominant drängend werden.
Solcherart – differenziert, punktgenau – äußerte er sich auch im Gespräch nach dem Konzert, sich immer bewußt, wie schwer sich manche Frage (um die Zukunft der Orchester) fassen läßt. Die Frage des Moderators Malte Arkonas, wieviel Mitbestimmung ein Orchester braucht oder wünscht, führte ziemlich schnell zu der Antwort, daß zu viel Diskussion, zumindest beim Proben, störend sei. Wichtiger wäre die Mitsprache »außerhalb«, wenn es um Programmatik, Organisation und den Kontakt zum Publikum geht. Neben Dima Slobodeniouk nahmen Jonathan Nott, Dirigent der Dresdner Philharmonie am Wochenende und künstlerischer Berater der JDP, Nina Paul und Joshua Dahlmanns (beide Orchestervorstand der JDP), sowie Dorothea Plans Casal und Björn Kadenbach, beide von der Dresdner Philharmonie, teil. Das Zukunftsorchester kreierten sie letztlich nicht, nicht zuletzt, weil in den letzten Jahren schon viel an Formaten gearbeitet wurde.
Wichtiger schien es allen Beteiligten, daß ihr Grundanliegen erhalten bleibt, daß Kultur als Bedürfnis wahrgenommen werde. Dima Slobodeniouk betonte noch einmal, was ihm solche Projekte und Programme bedeuten. Immerhin ist »Pelléas und Mélisande« kein leichter Stoff, sondern einer, der bis zum Brudermord reicht. Wer sich mit Musik wie in diesem Konzert auseinandersetzt, war sich der Dirigent sicher, der fange keine Kriege an.
26. März 2022, Wolfram Quellmalz