Traditionelle Aufführungen der Matthäuspassion mit dem Kreuzchor an den Kartagen sind zurück
Das gab es seit drei Jahren nicht: eine der großen Bach-Passionen bzw. die Matthäuspassion (BWV 244) mit dem gesamten Dresdner Kreuzchor vor einem großen Publikum – keine freien Sitzplätze, kein Maskenzwang. Doch gilt es nicht nur, diese entbehrungsreiche Zeit (hoffentlich) abzuschließen, gleichzeitig ist genau hier der Punkt, den vielen Musikern, Sängern, Künstlern und sonst allen Beteiligten in der Kreuzkirche zu danken für das, was sie in dieser Zeit geleistet haben, um Musik und Andachten eben doch möglich zu machen, manchmal online, wie in der Passions- und Osterzeit vor zwei Jahren, oft aber unter den gegebenen Bedingungen (Vorschriften) vor Ort und mit Publikum.
Gestern und noch einmal heute gab es nun wieder Johann Sebastian Bachs Matthäuspassion mit dem Kreuzchor und der Dresdner Philharmonie unter der Leitung von Kreuzkantor Roderich Kreile. So ungewohnt mittlerweile – da überraschte manchen die etwas längere Pause zwischen den beiden Teilen des Werkes (sonst kennt man nur ein kurzes Atemschöpfen des Chores, der sich einen Moment hinsetzen darf, während das Orchester nachstimmt).
Die gute Nachricht zuerst: der Kreuzchor klingt immer noch (oder wieder) gut. Er kann mit großer Kraft aufwarten, aber auch feine Piani gestalten. Ganz besonders gelangen Roderich Kreile in der Aufführung gestern die Duette mit den Solostimmen in den Arien wie zu Beginn des zweiten Teils (»Ach, nun ist mein Jesus hin!«), auch wenn die Einwürfe »Wohin?« und »Wo?« in der späteren Arie »Sehet, Jesus hat die Hand« künstlich gedämpft bzw. leise klangen. In beiden Fällen gestaltete Annekathrin Laabs (Alt) das Solo – sie war wieder einmal die herausragendste Stimme unter den Solisten und fand wunderbar mit Ulrike Hofbauer, die den Sopranpart erst kurzfristig von Heidi Elisabeth Meier übernommen hatte, im Duett zusammen (»So ist mein Jesus nun gefangen«), und das, obwohl beide im Stimmgewicht nicht gleich sind. Während Annekathrin Laabs nicht zuletzt mit dem Raum vertraut ist, fehlte Ulrike Hofbauer hier sicherlich die entsprechende (gleichwertige) Erfahrung, zudem ist ihr Sopran sehr schlank und wohl eher für kleinere Kirchen geeignet. Wie schön, daß sie gar nicht versuchte, ihn künstlich mit Vibrato aufzublähen oder zu forcieren! So geriet gleich ihre erste Arie »Blute nur, du liebes Herz!« wahrlich himmlisch – daß sie dieses Niveau nicht während der ganzen Passion durchstehen konnte, war nur zu verständlich. Dafür bewahrte sie ihren Ausdruck und konnte noch im letzten Rezitativ ihre Engelsstimme ausspielen.
Weniger überzeugend war Bernhard Berchtold (Tenor). Gerade sein klassisch angelegter Evangelist blieb so deutlich unter dem Vergleichsmaßstab und den Erwartungen, in der Höhe dünnte sein Tenor oft aus. Einigen exponierten Stellen mit dramatischem Verlauf dagegen konnte Bernhard Berchtold merklich Leben einhauchen und affektive Betonungen setzen.
Gut, aber dennoch nicht überzeugend blieb Daniel Ochoa, der die Baßarien übernommen hatte. An sich war dies technisch oder szenisch gut, nur stemmte er seine Partien mit Kraft und überdeutlich, was zu Lasten der Figurenglaubwürdigkeit ging. Zudem fehlte ihm ein »runder« Ton, das warme Timbre. Über ein solches verfügt Henryk Böhm, der seinem Jesus eine große Beseeltheit verlieh. Für einen der Höhepunkte der Matthäuspassion, »Mache dich, mein Herze, rein«, wäre er wohl die bessere Wahl gewesen. Den anderen Höhepunkt, »Erbarme dich, mein Gott«, stattete Annekathrin Laabs mit aller verfügbaren Wärme aus.
Der Dresdner Kreuzchor überzeugte dagegen, in den großen Chören ebenso wie in den Chorälen, zudem stellte er vier Solisten kleinerer Rollen. Sehr schön gelang der Dresdner Philharmonie die Begleitung in den drei Orchestergruppen (incl. Basso continuo). Einerseits schöpfte Roderich Kreile so die Möglichkeiten der Klanggestaltung und Kontrastierung aus, auch konnten Soli wirkungsvoll unterstützt und herausgestrichen werden. Allerdings gelang dies nicht immer vollends, nicht zuletzt, weil die Soloflöte im Orchester sitzend akustisch »verschwamm«. Später spielte Karin Hofmann ein anderes Solo (bzw. Duett mit der Oboe) stehend, was deutlich besser wirkte. Zudem war der Ablauf – Nummer für Nummer – zwar korrekt ausgeführt, doch fehlte es an einer bindenden Spannung bzw. dem Spannungsbogen. So schien die Aufführung am Ende recht lang (was sie mit fast dreieinhalb Stunden auch war). Ein wenig »Luft nach oben« ist also noch vorhanden.
15. April 2022, Wolfram Quellmalz
Der Dresdner Kreuzchor tritt an diesem Osterwochenende noch mehrfach auf: morgen gibt es 17:00 Uhr eine Kreuzchorvesper, Sonntagmorgen 6:00 Uhr die Ostermette, 9:30 Uhr einen Gottesdienst. Weitere Informationen unter: http://www.kreuzkirche-dresden.de