Dresdner Bachchor würdigt einen ehemaligen Kruzianer
Carl Heinrich Graun (1704? – 1759) ist der Nachwelt vor allem als Hofkapellmeister (unter anderem bei Friedrich II.) in Erinnerung geblieben, sein Wirken indes umfaßte weit mehr. Wie sein Bruder wurde er in Dresden an der Kreuzschule ausgebildet, war später zunächst als Sänger erfolgreich. An der Seite Johann Adolf Hasses setzte er sich für italienische Opern ein, bevor er sich auf sein eigenes Komponieren konzentrierte. Insgesamt entstanden über 30 Opernwerke, darüber hinaus sind Concerti, Kantaten, Passionen und Oratorien erhalten. Vier der bekanntesten Kompositionen Carl Heinrich Grauns zeichnen das Leben und den Tod Jesu nach: neben einem Oratorium in Festum Nativitatis Christi (Weihnachtsoratorium) sind dies die Große Passion, ein Osteroratorium sowie das Passionsoratorium »Der Tod Jesu«.
Die Große Passion »Kommt her und schaut« stand am Karfreitag auf dem Programm des Dresdner Bachchores in der Martin-Luther-Kirche der Dresdner Neustadt, womit der Chor seine rege Tätigkeit bei der Gestaltung der großen christlichen Feste wieder aufnahm. Allerdings mußte Kantorin Elke Voigt nach monatelangen Vorbereitungen bedauerlicherweise krankheitsbedingt absagen – Christfried Brödel konnte kurzfristig übernehmen. Außerdem beteiligt waren erneut die Sinfonietta Dresden sowie ein Solistenquartett mit Daniela Haase (Sopran), Ewa Zeuner (Alt), Frank Blümel (Tenor) und Clemens Heidrich (Baß) – eine bewährte Kombination, die gute Voraussetzungen versprach, sich dem doch selten aufgeführten Werk zu nähern.
Grauns Oratorium versetzt den Zuhörer nicht wie andere mitten ins Geschehen, sondern ist deutlich vom späteren Erzählen gekennzeichnet, wie schon der Untertitel »Kommt her und schaut« vermuten läßt. Einerseits verzichtete der Komponist auf die dramaturgische Ausgestaltung beteiligter Figuren, andererseits band er bekannte Bibelzitate und Choräle in sehr moderner, fast schon romantischer Weise ein. Für Solisten, Chor und Orchester bedeutete dies, zwischen unterschiedlichen Formen zu wechseln. Die Vielseitigkeit schloß gerade kleinere Chöre (Choros) oder Accompagnati belebend ein, die Balance zwischen Voranschreiten der Erzählung und Verharren im Moment blieb auf anregende Weise erhalten.
Zwischen farbenprächtigen Orchesterpassagen oder Chorfugen setzten die Solisten Handlungsbetonungen, wobei gerade Clemens Heidrichs Baß immer wieder stimmungsvoll hervortrat. Frank Blümel ist mittlerweile ein erfahrener Evangelist, sein oftmaliges Phrasieren, das »Anschleifen« der Töne oder der betonte Wechsel der Stufen, erschien in der Fülle mitunter zu lehrbuchgemäß und nicht frei. Allerdings konnte er immer wieder auch und gerade mit seiner Emotionalität überzeugen. Christfried Brödel sorgte für einen entsprechenden Fluß und setzte unter anderem zu Beginn des zweiten Teils (Aria Baß – Evangelist – Aria Alt) einen wirkungsvollen Höhepunkt. Neben solchen Abläufen gelang auch später das Duett Tenor / Alt beeindruckend.
So sorgte gerade die Zusammenarbeit der Beteiligten für eine stimmige Aufführung. Der beeindruckenden Leistung von Chor und Orchester, die mit dem langen, resümierenden Schlußchoral einen ungewöhnlich fokussierten Ruhepunkt setzten, hatte Daniela Haase mit einem vibrierend vitalen Arioso »Nun gute Nacht« kurz vor dem Ende noch einmal einen Höhepunkt gegenübergestellt.
16. April 2020, Wolfram Quellmalz
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