Musikalische Vespern in der Schloßkapelle Moritzburg haben wieder begonnen
Fährt man von Dresden nach Moritzburg, führt der Weg durch eine der schönsten Kastanienalleen Deutschlands. Spät im Jahr natürlich entziehen sich die Bäume der spektakulären Buntfärbung ihrer Brüder und Schwestern. Doch jetzt leuchten zwischen den frischen grünen Blättern ihre weißen Kerzen – so wird der Weg schon zum Teil des Erlebnisses.
Gestern zur Vesperstunde begannen die diesjährigen musikalischen Andachten in der Kapelle von Schloß Moritzburg. Die Alte Musik ist in den alten Gemäuern zu Hause und lebendig – für den Auftakt gestern hatte Ulrike Titze ein Trio eingeladen: zu Athena Zenker Díaz (Viola da gamba) und Charlie Zhang (Laute) gesellte sich Jiři Berger (Flauto traverso), der kurzfristig für Marie Luise Ludewig eingesprungen war.
»Un voyage français« lautete der Programmtitel, der schon vorab anregte, gedanklich abzuschweifen. Bei Pater Johannes Jeran, der die Andacht begleitete, weckte sie Erinnerungen an Frankreichaufenthalte und musikalische Erlebnisse dort, vor allem in der Provence.
Musikalisch führte die Reise zu Virtuosen des 17. und 18. Jahrhunderts. Der Glanz von Joseph Bodin de Boismortier (Flötist) oder Marin Marais (Gambist)strahlt bis in unsere Zeit, andere, wie Robert de Visée (Lautenist) oder Pierre Danican Philidor, stehen ihnen kaum nach. Ob dezidiert auf ihren eigenen Instrumenten oder für Ensemble – ihre Kompositionen begeistern bis heute und dringen in unsere Seelen ein, wie Veranstalterin Ulrike Titze in ihrer Begrüßung gesagt hatte.
Im Trio, aber auch im Duett und solistisch erweckten Jiři Berger, Athena Zenker Díaz und Charlie Zhang die Musik zu neuem Leben, die galant (Boismortier), verträumt (Marais), in sich ruhend (Visée) oder schlicht brillant (Philidor) klang. Ganz nebenbei erfuhr man noch manches mehr – so wurden die Besucher erinnert, daß der Raum, in dem sie saßen, auch ein Jubiläum feiert: vor 350 Jahren wurde die Schloßkapelle eingeweiht. Jiři Berger führte charmant durchs Programm und empfahl für all jene, welche die Gambe besonders mögen, einen Film, in dem der Komponist Marin Marais eine Schlüsselrolle spielt: »Die siebente Saite« (Beschreibung unten).
Zusätzlich gewürzt wurde das Programm durch vier Lieder, die – bis auf eines, für das Jiři Berger die Sängerrolle übernahm, instrumental dargeboten – durch die Jahrhunderte überliefert sind. Nach der kleinen, ergötzlichen Rundreise gab es als Zugabe noch eines der Lieder.
16. Mai 2022, Wolfram Quellmalz
Die nächste Vesper in der Moritzburger Schloßkapelle findet am 6. Juni (Pfingsmontag) statt. Weitere Informationen unter: st-martin-dresden.de/gemeindeleben/musik/vespern-moritzburg/
Empfehlung: »Die siebente Saite« (Original: Tous les matins du monde, 1991), Film von Alain Corneau, 114 Min., mit: Gerard Depardieu, Jean-Pierre Marielle, Anne Brochet, Guillaume Depardieu, Michel Bouquet, Myriam Boyer, Filmmusik: Jordi Savall, als DVD oder Blu-ray, erschienen bei Arthaus

Filmtext Arthaus: Nach dem Tod seiner Frau zieht sich der Komponist Sainte Colombe komplett zurück. Nur die Musik hält ihn überhaupt noch am Leben. Einer der wenigen Menschen, die er an sich heranlässt, ist sein talentierter Schüler Marin Marais. Der überflügelt bald den Meister und macht als reifer Mann Karriere am Hofe von Ludwig XIV.