Konzert des Sächsischen Vocalensembles in der Dresdner Annenkirche
Das Heinrich-Schütz-Gedenkjahr schlägt sich vielfach im Konzertkalender nieder. Auch die Dresdner Musikfestspiele haben Schütz direkt oder über Partner ins Programm genommen – daß das Sächsische Vocalensemble seine Werke singt, ist selbstverständlich und gehört fast in jedem Jahr dazu, unabhängig von Jubiläen. Am Freitagabend standen dem Komponisten, dessen 350. Todestag auf den November fällt, Werke von Hugo Distler gegenüber, dessen Todestag sich – wenige Tage vor Schütz – dann zum achtzigsten Mal jähren wird.
Beide Komponisten waren einzigartig in ihrem Talent, beide erlebten die Verwerfungen von Kriegen, gingen aber wohl ganz unterschiedlich damit um, empfanden die Situation individuell anders. Heinrich Schütz war für Hugo Distler Vorbild und Inspiration, was aber nicht zu einer bloßen Neuinterpretation oder Nachahmung führte, sondern in einer eigenen, modernen Klangsprache aufging. Teilweise wählte er sogar die gleichen Textvorlagen.
Dirigent Matthias Jung hatte für sein Ensemble in beiden Fällen Werke aus Motettensammlungen ausgewählt, die unvollendet geblieben waren, selbst wenn das gerade im Fall von Heinrich Schütz‘ vollendet scheinender Geistlicher Chormusik erst einmal erinnert werden muß. Zwar gehörte dem Sagittarius Beginn und Abschluß des Konzerts, in den paarweise vorgetragenen Motetten ging aber jeweils der moderne Komponist voran. Wohl aus gutem Grund, denn die Unterschiede sind trotz aller Bezogenheit enorm. Der mitunter spröde scheinende, fragile Distler hätte sonst vermutlich gegen die einnehmende chromatische Harmonik von Heinrich Schütz‘ Polyphonie, der noch in dunkelsten Zeiten wie ein Träger des Lichts scheint, das Nachsehen gehabt. Und das wäre schade gewesen, denn bei Distler gibt es expressive Emotionalität zu entdecken und immer wieder Bezüge auf historische Kompositionen, wie in »Wachet auf, ruft uns die Stimme«, in dem – ähnlich wie Schütz oder Homilius es taten – der Choral in die Strophe eingeflochten ist.
So konnte man sich einnehmen, ansprechen lassen, ebenso intellektuell, dem Text folgend, wie in der sinnlichen Wahrnehmung, und entdecken: Überformungen des Textes, fokussierende Steigerungen und Betonungen. Kraft, Zuversicht und Affekte haben beide Komponisten verwandt oder dargestellt, ihre Wege zu vergleichen war höchst interessant. Dabei setzte Matthias Jung nicht allein auf (anschauliche) Kontraste, sondern sorgte immer wieder für Bindungen, so wie zu Beginn, als Schütz‘ »Verleih uns Frieden gnädiglich« (SWV 372) und »Gibt unsern Fürsten« (SWV 373) nicht nur aufeinanderfolgten, sondern direkt ineinander übergingen.
Nach und nach kristallisierten sich wahrnehmbar Empfindungen und Botschaften heraus. Heinrich Schütz schien oft der innige, vertiefte, in sich gekehrte Komponist gewesen zu sein, während Distler die Verwerfungen der Zeitenläufe in Affekte umgesetzt hat und an die Oberfläche treten ließ. Besonders deutlich wurde dies in »Das ist je gewißlich wahr« – Distler stellte zunächst Kontraste heraus, bevor der Text eine Aufhellung erfuhr, bei Schütz wird die beruhigende Gewißheit von Beginn an betont. Während Schütz für einnehmende Schichtungen sorgt, schaffte Distler klare, mitunter scharfe Konturen.
Matthias Jung und sein Vocalensemble bereiteten dem Publikum eine bereichernde Erfahrung. Ganz ohne Gäste und mit nur zwei Solistinnen aus dem Chor (Patricia Hoffmann und Tabita Rebhahn), aber in homogener Ausgewogenheit konnte der Chor sein Klangbild entfalten und dabei, wie in Schütz‘ »Singet dem Herrn ein neues Lied« (SWV35) immer wieder mit Stimmgruppen (in diesem Falle Alt) oder dem in Mehrchörigkeit aufgeteilten Ensemble seine Vielseitigkeit zeigen.
14. Mai 2022, Wolfram Quellmalz
Im Juli wird das Sächsische Vocalensemble im Rahmen der Robert-Schumann-Ehrung E. T. A. Hoffmanns Miserere Opus 42 sowie Robert Schumanns Requiem Opus 148 singen. Instrumentalisten: Camerata Lipsiensis, Leitung: Matthias Jung