Antoine Tamestit verabschiedet sich (vorläufig) von der Sächsischen Staatskapelle
Es war sein dritter und letzter Auftritt in Dresden – zusätzlich war Antoine Tamestit mit der Sächsischen Staatskapelle noch auf zwei Gastspiereisen gewesen. Doch eigentlich kann man sich gar nicht vorstellen, daß der aktuelle Capell-Virtuos nicht wiederkäme.
Für den letzten Besuch und sein Rezital hatte sich Antoine Tamestit einen Klavierpartner mitgebracht: Cédric Tiberghien. Und der zeigte sich durchaus gleichwertig, nicht nur im Können, sondern nicht weniger im Rollenverständnis. Das Programm überraschte etwas, denn es folgte streng (oder schlicht) der Chronologie: Bach – Brahms – Fauré – Clarke. Wer die Komponistennamen hört, würde vielleicht unwillkürlich Bach an den Anfang und Brahms ans Ende stellen – nicht zu Unrecht, denn gerade Gabriel Faurés Sicilienne Opus 78 und »Après un rêve« Opus 7 Nr. 1 (ursprünglich für Harfe), beides Bearbeitungen, waren hübsche (und kurze) Zugabenstücke, offenbarten nach der Pause aber eine große Fallhöhe zu Brahms. Dabei hatte Faurés Opus 16, die Berceuse, zuvor noch für eine seidig-elegante, gleichwohl noble Salonatmosphäre gesorgt. Vielleicht hätten Antoine Tamestit und Cédric Tiberghien statt dessen mehr von Lili Boulanger spielen sollen – die Zugabe, ihr Nocturne Nr. 1 für (ursprünglich) Violine verriet einen Hauch der atemberaubenden Modernität, welche die so jung verstorbene Komponistin zu erwecken imstande gewesen war.
Dann also Bach und Brahms am Beginn bzw. in der ersten Hälfte. Die Sonate für Viola da gamba und Klavier BWV 1028 hört man in vielen Besetzungsfassungen, beanspruchen sie doch Cellisten und Cembalisten ebenso für sich – woraus sich viele Kombinationen ergeben, von Adaptionen (Violine) ganz zu schweigen. Am Sonntagmorgen offenbarte sich dabei zunächst, daß die Viola einen ganz anderen Raumklang erzeugt als die Violine. Er ist nicht nur tiefer, er ist räumlicher, dichter, während der Violinton immer nach oben zu schweben scheint. Daraus folgte eine unterschiedliche Hörweise, je nachdem, wo man saß. In der hinteren Parketthälfte mittig war die Balance sehr gut, zumindest, wenn man – wie es Tamestit und Tiberghien offenbar wollten, die kontrapunktische Gleichwertigkeit beider Instrumente akzeptiert (viele sehen das Streichinstrument in der Führungsrolle). Die Sonate erklang hier – so raumfüllend oder -ergreifend – ein wenig wie in einer Kirche, ihre Stärken lagen vor allem in den ruhigen Passagen. Noch herrschte eine große Klarheit vor, selbst wenn sich die Stimmen der Instrumente gerade im Andante bereits aufs zärtlichste umschmeichelten.
Solche Gefühle liegen bei Johannes Brahms nicht nur nahe, er fordert sie sozusagen heraus. Seine Sonate für Viola und Klavier f-Moll, Opus 120 Nr. 1, erglühte mit den beiden Interpreten sozusagen in Leidenschaft. Da dürfen sich die Stimmen aneinander reiben – nichts wäre langweiliger als eine klebrige Wohlfühlromantik! Bei Antoine Tamestit und Cédric Tiberghien konnte die Viola auch einmal störrisch widersprechen, das Klavier insistieren – Tränen fließen, tänzerische Freude erwacht … Das Vivace birgt ohnehin einen Stimmungsumschwung zu den vorangegangenen Sätzen, regt an und auf, mit diesen Solisten blieb es kultiviert – leidenschaftlich sowieso.
Geht man durch die Violaliteratur des zwanzigsten Jahrhunderts, darf Rebecca Clarkes Sonate für Viola und Klavier eigentlich nicht fehlen. Antoine Tamestit und Cédric Tiberghien hielten ein flammendes Plädoyer für die Komponistin und ihr Stück, das leidenschaftlich wie Brahms begann, im Klavier aber bereits an eine impressionistische Bilderwelt erinnerte. Überzeugend der Energico-Impuls – er treibt den dritten Satz nicht fortwährend an (und taucht auch nicht als Satzbezeichnung auf), verleiht ihm (»Agitato«) aber Energie.
Ob es ein Wiederhören mit Antoine Tamestit bei der Sächsischen Staatskapelle geben wird? Bestimmt!
16. Mai 2022, Wolfram Quellmalz