Kalter Braten und ungemachte Betten

Barbara Pym »In feiner Gesellschaft«

So ergeben sich genüßlich-literarische Ketten: im Literarischen Küchenkalender der edition momente (unsere Besprechung: https://neuemusikalischeblaetter.com/2021/12/14/punsch-oder-pasta-theodor-storm-oder-madeleine-albright/) entdeckten wir Barbara Pyms »Tee und blauer Samt« (in Vorbereitung für Heft 42). Das wahrlich köstliche Buch gibt es momentan nur im modernen Antiquariat, bei DuMont sind zuletzt allerdings vier Bücher der Autorin neu übersetzt herausgekommen. Wir haben uns gleich noch »In feiner Gesellschaft« (im November erschienen) vorgenommen.

So fein ist die Gesellschaft gar nicht, denn auch hinter der schmucken Fassade von Titeln und bürgerlichen Heimen verbergen sich menschliche Heimlichkeiten – kleine Wünsche, große Sehnsüchte, Abgründe … Hier trifft man nicht nur auf sittsame Mädchen und Häkeldeckchen, Barbara Pym (1913 bis 1980) offenbart auch frivole Gelüste, deutet heimliche »Techtelmechtel« an und zeigt Nachbarn, die zwischen den Gardinen »hervorspitzen«, um heimlich zu beobachten, was nebenan geschieht. Zur Beruhigung empfiehlt die Hausfrau (oder Tante) abends vor dem Schlafengehen eine Ovomaltine

Leseprobe:

Er stellte sich Miss Randall mit ihrem Haarnetz und Kneifer vor und fragte sich, ob er wohl neben ihr zu sitzen käme und worüber sie dann reden sollten. Register, die die Welt bedeuten? Abtreibung, Alpenglühen, Apostroph – Ehebruch, Eisbein, Embryo – na, wohl bekomm’s! Vielleicht hatte er den Gin doch etwas arg schnell getrunken.

Die Autorin entführt ihre Leser ins London der 1950er Jahre. Anders als in »Tee und blauer Samt«, das zeitlich schwer zu erfassen ist, legt der äußere Rahmen zumindest die Zeit ungefähr nahe – vieles, was in den Familien oder zwischen (potentiellen) Liebespartnern geschieht, ist nämlich zeitlos, wird nebenbei ganz klar. Wobei »In feiner Gesellschaft« sicher nicht zur »Aufklärung« gedacht ist, sondern zur Unterhaltung. Zu einer niveauvollen, gehobenen, nicht nur zur Erheiterung – grundsätzlich pflegt das Buch ein ironisches Amüsement, in dem die Autorin konsequenterweise vor sich selbst nicht haltmacht – im Badezimmer (nicht im Bücherregal des Wohnzimmers wohlgemerkt!) der Heldin Dulcie Mainwaring findet sich ein Buch von Barbara Pym, das sie wirklich geschrieben hat (»Vortreffliche Frauen«, ebenfalls neu bei DuMont).

Sie sah gediegen wirkende Häuser, dichte, akkurat beschnittene Bäume, die schon die ersten Blätter abwarfen. Ein älterer Herr blieb stehen und grüßte Dulcie mit übertriebener, fast schon fremdländischer Zuvorkommenheit. In einem Garten gegenüber band eine Frau Chrysanthemen hoch, während aus dem Giebelfenster eines anderen Hauses ein Gesicht hinter den Gardinen hervorspitzte.

Dulcie übersetzt Bücher anderer Autoren und widmet sich einer Arbeit, die wichtig ist, enormen Fleiß und fachliche Fähigkeiten voraussetzt, aber kaum wahrgenommen wird – sie fertigt Register für Fachbücher an. Vom Glanz der Autoren (soweit man das sagen darf) erfährt sie nichts.

Auf einer Tagung lernt sie Viola kennen, die mehr Widerpart als Freundin wird, und deren »Ex« (oder Schwarm) Aylwin. Auf der Suche nach der Liebe stellt Dulcie Aylwin nach, lernt seine Familie kennen, reist durch England …

»Hier wäre sogar noch Sherry«, sagte Dulcie in überraschtem Ton. Sie trat ans Büfett und griff nach der Karaffe, die Viola durch die offene Tür schon erspäht hatte. »Möchten Sie ein Glas?«

»Danke, das wäre nett …«

»Als ersten Gang gibt es Makkaroniauflauf. Und danach kaltes Fleisch und Salat«, sagte Dulcie mit fester Stimme. »Schmeckt der Sherry noch?«

»Es scheint mir eher Whisky zu sein, aber das ist umso besser.«

»In feiner Gesellschaft« läßt zwar kaum ein Klischee aus, das in die Szenerie passen würde (die Küche ist zum Abgewöhnen!), Barbara Pym verwendet aber eben nur die stimmigen, spinnt Gelehrte, Pfarrer, ehrwürdige Familien in ihre Geschichte ein. Und das macht sie gekonnt, was sie über andere Unterhaltungsautoren erhebt. Auch wie Barbara Pym ihr Zielpublikum – bildungsbürgerliche Leser – umgarnt, durch Lyrik, Botanik und Kulturgeschichte führt, ist ergötzlich und herrlich. Die offenbarten Abgründe amüsieren dabei eher, als daß sie erschrecken oder man in sie stürzen könnte. Vergnügliche Unterhaltung also – suchen Sie noch ein Buch für den Urlaub?

Barbara Pym »In feiner Gesellschaft« (Originaltitel: »No fond return to love«, 1961), Roman, aus dem Englischen von Sabine Roth, DuMont, fester Einband, Schutzumschlag, Lesebändchen, 350 Seiten, 20,- €, auch als Taschenbuch (12,- €) und als e-Book (9,99 €)

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