Yale Schola Cantorum und Juilliard415 spielten Haydn und Copland
Zu Hause trennen den Kammerchor und das Orchester etwa 80 Meilen, aber schon dort führt sie die Musik zusammen. Seit letzter Woche (27. Mai / Ehingen) und noch bis zum Sonntag (Lübeck) sind Yale Schola Cantorum (zur Yale University gehörig) und Juilliard415 (aus New Yorks berühmter Juilliard School) gemeinsam mit dem Leiter David Hill zusammen in Deutschland unterwegs. Gestern führte sie ihr Aufenthalt nach Dresden in die Frauenkirche.
Die Zahl im Namen weist darauf hin daß sich das Orchester vor allem mit Alter Musik beschäftigt (daher Stimmton a = 415 Hz, so wie er im 17. und 18. Jahrhunderts in etwa war). Wobei der Chor sich leicht »umstimmen« kann – die menschliche Stimme braucht keinen Hebel, um sie umzustellen.
Daß hier zwei Institutionen gemeinsam musizieren wollten, zeigte sich schon darin, daß beide schon zu Beginn die Bühne im Kirchenschiff betraten – dabei spielte zuerst das Orchester gemeinsam, also ohne den Chor, der danach a cappella sang – man hörte einander zu. David Hill gefiel von Beginn als umsichtiger Leiter, der »zu beiden Seiten« einen »guten Draht« pflegte, die jungen Leute nicht sich selbst, ihnen aber viel Verantwortung überließ. So war Konzertmeisterin Kako Miura wesentlich ins Geschehen eingebunden und wurde von ihren Mitspielern immer mit den Augen als Reverenzperson gesucht. Joseph Haydns Sinfonie Nr. 6 D-Dur (Hob. I:6) mit dem Beinamen »Le Matin« (Der Morgen) klang beeindruckend angenehm »alteuropäisch«. Dabei waren vermutlich nur einige Instrumente und Bögen original. Die Stimmfarbe jedoch überzeugte, das Spiel war – historisch informiert – nur an ausgewählten Stellen im Baß mit Vibrato angereichert. Es endete mit fröhlicher Jagdatmosphäre im Schluß-Allegro von Haydns Sinfonie. Schön war (bzw. glücklich gelang), daß das e-Cembalo (sicher kein »Original«) im Basso continuo aufging und passend wirkte, ohne künstliche oder gar Mißtöne aufkommen zu lassen. (Das ist man bei uns nicht gewohnt – jede Musikschule hat hierzulande ein echtes Cembalo oder kann sich vor Ort eines leihen.)
Mit Aaron Copland: »In the Beginning« durfte der Chor Yale Schola Cantorum den zweiten Teil gestalten. Rhianna Cockrell war darin ein gestaltungssicherer Mezzosopran. Wie die übrigen Solisten (die Männer mit Erfahrung aus Knabenchören) war sie schon oder fast Profi, den übrigen Teilnehmern in Alter und Erfahrung noch nahe, aber durchaus schon im Vorteil. Coplands »In the Beginning« scheint nur flüchtig betrachtet Haydns »Morgen« nahe. Tatsächlich greift es die Genesiserzählung der Bibel auf (»Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde«, 1. Buch Mose, 1:1 bis 2:7). Beeindruckend war, wie Copland darin Solostimme und Chor gewichtet hat, auffächert und wieder zusammenführt. David Hill arbeitete die Kontrastwirkung geradezu plastisch heraus. Hinzu kam, daß die Textverständlichkeit sehr gut war. Allerdings zeigten sich auch die Grenzen des Chores hinsichtlich Dynamik und Homogenität, was nur zum Teil damit zu erklären ist, daß sich die Sängerinnen und Sänger auf einen unbekannten Raum einstellen mußten. Spätestens im Crescendo mischten sich jedenfalls unangenehm grelle Anklängen ins Chorgefüge.
Nach der Pause gab es eine der frohesten Messevertonungen der Musikgeschichte zu hören: Joseph Haydns Messe Nr. 13 B-Dur (Hob. XXII:13), die sogenannte »Schöpfungsmesse«. Dabei gefiel vor allem das Orchester, das bei seinem »alten« Stil blieb, dafür aber mit Mitteln wie Bogenvibrato für um so beeindruckendere Effekte sorgte. Auch der Chor schien in den harmonisch gefälligeren Gefilden an sicheren Gestanden zu verweilen und gewann gegenüber dem Copland-Teil noch einmal. Das Solistenquartett (mittig im Chor) meisterte seinen Part zwar souverän, aber ohne besonderen Glanz. Insgesamt war der Überschwang des Ensembles jedoch etwas übermächtig, gewannen Euphorie und Effekt im Verlauf zu viel Gewicht bzw. erweckten den Eindruck eines Dauerfeuerwerks – hier hätte David Hill mehr bremsen und differenzieren sollen.
Was aber weder das Projekt noch das Konzerterlebnis schmälern soll – es war mitreißend für die jungen Leute wie für ihre Besucher!
Und so gab es nach kurzem Bitten auch eine innig präsentierte Zugabe: »Boshe velykyi jedynnij« (Gebet für die Ukraine) von Mykola Lysenko.
3. Juni 2022, Wolfram Quellmalz