Pfeffer zum Dessert

Budapest Festival Orchestra und Iván Fischer tauchten den Kulturpalast in malerisches Kolorit

Wenn Orchester auf Gastspielreise gehen oder man sie gar »geballt« bei Musikfesten erlebt, präsentieren sie gerne etwas, was im normalen Konzertalltag dem Solisten vorbehalten bleibt: Zugaben. Iván Fischer und das von ihm vor fast 40 Jahren mitbegründete Budapest Festival Orchestra begannen ihr Konzert im Rahmen der Dresdner Musikfestspiele am Mittwoch im Kulturpalast scheinbar mit einer solchen – Franz Liszts zweite Ungarische Rhapsodie hat in jeder Hinsicht Encore-Charakter: Sie ist angemessen in der Länge, kann das Publikum – wenn sie gut dargeboten wird – enthusiastisch stimmen und bietet auch dem häufigen Konzertgänger neue Höreindrücke. Auch ist die Orchesterbearbeitung (Original: Klavier) keine beliebige, sondern vom sinfonisch innovativen und begabten Komponisten selbst angefertigt. Und sie erfrischt mit zahlreichen Erzählsträngen und Soli bis hin zum Zimbal. Franz Liszt war keineswegs der erste, der sich fremden Ländern, Regionen und Musikidiomen zuwandte, seine dezidierte Auseinandersetzung mit ungarischer Folklore und jener der Roma ist dennoch einzigartig. Solist Jenő Lisztes vollführte seinen Part höchst virtuos, fügte sich zunächst in den selbstredend ungarischen Orchesterklang, um schließlich – mit gewechselten Schlegeln – eine atemberaubende Kadenz darzubieten. Den Abend so zu beginnen, war schon einmal festspielwürdig.

Iván Fischer behielt die pfeffrigen, scharfen wiewohl zielgerichteten Zutaten ebenso bei wie seine ungewöhnliche Orchesteraufstellung (Bässe und Harfe mittig, Blechbläser rechts, nur die Hörner links). Auch das Wechseln hielt an: Konzertmeister Guy Braunstein, in gleicher Funktion lange Jahre bei den Berliner Philharmonikern, tauschte immer wieder sein Instrument – für die Orchesterpassagen in Franz Liszts zweitem Klavierkonzert verwendete er ein anderes als für die zahlreichen solistischen, für die er eine andere Stimmung der Saiten bevorzugte. Auf dem Spielplan findet sich Liszts Konzert – wenn es denn eines ist und keine Sinfonie für Klavier und Orchester – recht selten. Pianist Alexandre Kantorow stand vor der Aufgabe, ein ungewöhnliches Werk darzubieten, das manchen Gestaltungsraum nicht gibt, vor allem aber agogische und dynamische Raffinesse verlangt. Über die verfügt Alexandre Kantorow – stupend sagt man in diesem Fall, Iván Fischer sorgte dafür, daß das Werk in seinen sinfonischen Dimensionen gedieh.

Wer mehr über die Ausdrucksmöglichkeiten des Pianisten erfahren wollte, der wurde mit Alexander Skrjabins Poème Vers la flamme belohnt. Im fast abgedunkelten Saal ließ Alexandre Kantorow diese Flamme aufglühen und gleißen – den Franzosen sollte man sich für weitere Höreindrücke merken.

Nach der Pause änderte sich das Kolorit erneut – Gustav Mahlers vierte Sinfonie stand auf dem Programm, bei den Wechseln blieb es. Die Glöckchen erklangen zu Beginn ebenso vor dem Orchester wie der fabelhafte erste Hornist (Zoltán Szőke) im zweiten Satz für seine Soli hier Platz nahm. Die vierte scheint in manchem, nicht zuletzt in den Satzbezeichnungen, Gustav Mahlers »entspannteste« Sinfonie zu sein, seine vielleicht unbelastetste. Anspruchsvoll ist sie dennoch. Das Budapest Festival Orchestra fand aber zu einem eleganten Grundduktus, der sich deutlich von der Mächtigkeit und Tragik manch anderer Werke Mahlers unterschied. Somit konnte sich Sopranistin Mirella Hagen ganz auf die Gestaltung konzentrieren – ihren Text zu »Das himmlische Leben« (aus des Knaben Wunderhorn) hätte man trotzdem gern im Programmheft gefunden.

War nun das am Anfang schon die Zugabe gewesen? Nein – Iván Fischer überraschte sein Publikum noch einmal: mit wenigen Streichern und den übrigen Orchestermusikern als Chor sowie der Solistin erklang Mozarts Laudate dominum aus der Vesperae solennes de confessore – na klar, hatten doch schon alle gemerkt, daß Mirella Hagen über einen perfekten Mozartsopran verfügt. Mahler soll schließlich auch ein legendärer Mozartinterpret gewesen sein – paßte also!

4. Juni 2022, Wolfram Quellmalz

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