Gli Incogniti mit Unterhaltungsmusik der Bachzeit
Unterhaltungsmusik kann noch heute niveauvoll sein – früher war sie es sehr oft. Denn Fürsten gaben gerne Werke in Auftrag, die während Banketten und zur Tafel gespielt wurden. Heute sind uns diese Werke, Concerti und Suiten, oft besonders lieb. Das Bachfest Leipzig kehrte am Sonnabendnachmittag erneut in den Kupfersaal ein – mittlerweile war die frühsommerliche Heiterkeit einer erdrückenden Hitze gewichen. Alte Instrumente, zumal wenn sie mit Darmsaiten bespannt sind, mögen solche Wetterumschwünge und Änderungen der Luftfeuchtigkeit gar nicht. Für das Ensemble Gli Incogniti hieß es, sich schnell einzufinden.
Mit Georg Philipp Telemanns Concerto B-Dur (TWV 43: B1) gelang dies auch gut. »Kurz und knackig« könnte man dies nennen – das Werk erinnert an die italienische Sinfonie, zudem gehörte der Komponist zu jenen, welche der Viola ihr passende Stimmen zueignen konnten – hier durfte Marta Páramo neben der Leiterin Amandine Beyer (Violine) sozusagen »aufgeigen«.
Mit den Konzerten für Violine, Streicher und Basso continuo BWV 1042 und später BWV 1041 machte sich jedoch die Hitzeempfindlichkeit bzw. ein Hitzeschaden bemerkbar, denn die Intonation der Instrumente, allen voran bei Amandine Beyer, ließ arg zu wünschen übrig. Und bei allem Verständnis überraschte dies – sollten die Alte-Musik-Experten solche Situationen nicht kennen und besser beherrschen, schneller reagieren können? Den Werken tat dies auf jeden Fall einen Abbruch, zumal die Leiterin teilweise stark auf den Notentext konzentriert (und nicht frei) war und eher als Prima inter paris denn als dezidierte Leiterin agiert – hier wäre eine ordnende, koordinierende Hand oder ein entsprechendes Augenmerk sicherlich hilfreich gewesen. So blieb der Zusammenhalt insgesamt etwas auf der Strecke.
Wie schon am Tag zuvor an gleicher Stelle war erneut das Cembalo bzw. sein Spieler besonders überzeugend – in diesem Fall die Spielerin: Violaine Cochard zumindest schien frei von Hitze- oder Intonationsschwächen und gestaltete weiche, gesangliche Melodiebögen ebenso gekonnt wie feine Verzierungen.
Als besonderer Gast, auch wenn sie laut Programmheft zu Gli Incogniti zählt, trat Oboistin Xenia Löffler auf. Johann Sebastian Bachs als Klavierkonzert überliefertesBWV 1055 ist (wie manche) kein Original, sondern eine spätere, vom Komponisten selbst vorgenommene Umbesetzung. Man geht heute davon aus, daß es sich ursprünglich um ein Oboenkonzert gehandelt hat, womit das Werk als Nr. 1055R (für »Rekonstruktion«) in den Werkkatalog eingegangen ist. Viele favorisieren wegen des besonders gesanglichen Charakters die Oboe d’amore, doch gerade in dieser Hinsicht konnte Xenia Löffler (bzw. ihr Instrument) nicht überzeugen. Der Nachbau nach historischem Vorbild jedenfalls klang nicht besonders gesanglich, sondern eher gedämpft, als ob Xenia Löffler keinen freien Ton hervorbringen könnte. »Schön« war es durchaus (!), jedoch vermißte man gerade bei diesem sanglichen, der menschlichen Stimme so nahekommenden Instrument eben die Freiheit und es stellte sich die Frage, ob die normale Oboe, als Sopranistin sozusagen, nicht doch die bessere Wahl gewesen wäre.
Die Zugabe konnte hier entschädigen, denn für einen Satz aus dem Doppelkonzert für Violine, Oboe, Streicher und Basso continuo (BWV 1060R) griff Xenia Löffler zur normalen (wiewohl historischen) Oboe. Und ganz nebenbei – auch dieses Werk ist uns zunächst in seiner Bearbeitung als Doppelkonzert BWV 1060 für zwei Klaviere überliefert – durfte Violaine Cochard noch einmal als quasi dritte Solostimme neben Almandine Beyer und Xenia Löffler mitbrillieren.
19. Juni 2022, Wolfram Quellmalz