Gambensonaten mit Pieter Wispelwey und Mahan Esfahani beim Bachfest Leipzig
Wenn in einem Konzert »Gambensonaten« angekündigt sind, erwartet man auch solche. Beim Konzert Nr. 105 des Bachfests Leipzig wurde diese Erwartung jedoch unterlaufen, was noch nicht so schlimm gewesen wäre, wenn das Resultat überzeugt hätte. Zwar spielten Mahan Esfahani und Pieter Wispelwey im Kupfersaal die drei Gambensonaten BWV 1027, 1028 und 1029 von Johann Sebastian Bach, außerdem zwei andere solistische Stücke, jedoch: nichts klang hier auch nur entfernt nach Gambe. Pieter Wispelwey spielte ein Violoncello piccolo, zumindest dem Programmheft nach. Tatsächlich war dem Instrument kein piccolo anzusehen, es schien vielmehr ein normales (historisches) Violoncello zu sein, vor allem aber mit fünf Saiten – macht das schon ein »piccolo«? Im allgemeinen nimmt man an, Bach habe seine fünfte Cellosuite für ein fünfsaitiges Violoncello vorgesehen – die Gambensonaten jedoch für die Gambe. Manche Gamben haben zwar ebenfalls fünf Saiten, die meisten jedoch sechs oder sieben – und sie klingen ganz anders! Der Ton von Pieter Wispelweys Instrument kippte zwischen einem sehr hellen Klang oben, unten wirkte er wenig sonor, die (unwiderstehliche) Eindringlichkeit der Gambe fehlte dem Spiel völlig. Zudem hatte der Cellist offenbar Schwierigkeiten mit der Intonation – mit der zusätzlichen Saite ändern sich die Verhältnisse in der Stimmung, sowohl den Grundton jeder Saite betreffend wie auch die Griffe bzw. Fingersätze. Man sollte jedoch meinen, ein Musiker, der sich mit Werk und Aufführungspraxis auseinandergesetzt hat, beherrsche beides spielerisch.
So blieb das Resultat tatsächlich enttäuschend. Der Partita BWV 1013, im Original für Flöte geschrieben, ging ein markanter, tragender Ton grundsätzlich ab – ein Manko, das auch das Cembalo in den Gambensonaten nicht ausgleichen konnte. Denn zudem fanden die beiden Solisten zu keiner überzeugenden Partnerschaft. Wer wegen der Gambensonaten kam oder sich für Gambenmusik interessiert, war schlicht und tief enttäusch!
Lichtblicke gab es dennoch, auch wenn sie fast ausnahmslos beim Cembalisten lagen. Denn Mahan Esfahani war ein unprätentiöser, aber präziser Begleiter, der in seinem Text tiefgründige, dynamisch durchdachte Begleitpassagen fand und einen schönen Baß gestaltete, aber ebenso (oder noch mehr) und ohne jede Übertreibung feinste Verzierungen anzusetzen wußte. Insofern war die Sonate D-Dur (Fk 3) des Dresdner Bach (Wilhelm Friedemann) eine absolute Entdeckung und Rarität, verbindet sie doch einen noch italienisch gefärbten, konzertanten Stil (Ecksätze) mit Eleganz und enthält ein Adagio, wie es später Mozart einmal zur Vollendung gebracht hat – kennengelernt hatte dieser solche Literatur bei Wilhelm Friedemanns jüngerem Bruder Johann Christian.
Zudem wußte Mahan Esfahani seine Zweihändigkeit einzusetzen, um ein echtes Duett zu formen. Das Cembalo lädt dazu mit dem Gestaltungsspielraum unterschiedlicher Register, der Gegenüberstellung von Vier- oder Achtfuß und Lautenzug, ein, die Raffinesse lag jedoch besonders in der Ausführung.
18. Juni 2022, Wolfram Quellmalz