Gipfeltreffen zum Auftakt der Internationalen Dresdner Orgelwochen

Konzert mit allen drei Hauptorganisten in der Frauenkirche

Wenn im Sommer die Ferien im Kalender stehen, Opern- und Konzerthäuser Pause machen, steigert der Dresdner Orgelzyklus seine Programme noch einmal um ein paar Grade Internationalität. Gäste aus Paris, London oder Wien, aus Polen und den USA bestreiten die Konzerte während der nächsten acht Wochen, den Auftakt am Mittwoch gestalteten aber noch die Gastgeber: Kreuzorganist Holger Gehring, der neue Domorganist Sebastian Freitag und Frauenkirchenorganist Samuel Kummer luden in die Frauenkirche ein, um ein legendäres Konzert wiederaufzuführen. »Das Trocaderokonzert« (mit Überlänge) entsprach im Programm – soweit das möglich war – einer Aufführung im Palais du Trocadéro am 1. Oktober 1878. Im riesigen Konzertsaal des Gebäudes spielte damals César Franck vor 5000 (!) Zuhörern. Das Palais wurde später abgetragen, um andere Gebäude zu errichten – heute kaum vorstellbar. Vergleichbare monumentale Räume gibt es kaum noch, am ehesten ist vielleicht die Royal Albert Hall in London vergleichbar.

Ein »rekonstruiertes« Konzert wurde es am Mittwoch nicht, sollte es auch nicht sein. Vielmehr ein Beitrag zum 200. Geburtstag des Komponisten. »Annäherung« träfe es ohnehin besser als »Rekonstruktion« – bevor es losging, fanden sich die drei Dresdner Hauptorganisten in der Unterkirche der Frauenkirche zusammen, um über das Programm zu sprechen. So gibt es einige offene Fragen, nicht nur über die Improvisationen César Francks, über die nur wenig überliefert ist. Opernthemen sollen sie enthalten haben sowie (passend zur Weltausstellung und ihren Gästen) Nationalhymnen. Doch auch über die anderen Stücke, die Trois Pièces und das Grande pièce symphonique, existieren es unterschiedliche Aussagen, weil der Komponist später noch eine zweite Fassung angefertigt hat (Pièce héroïque) oder sich die Registrierung in den Notenausgaben von persönlichen Eintragungen unterscheidet – César Franck hat sehr konkrete Vorstellungen von Klang und Dynamik gehabt.

Sebastian Freitag folgte in Fantasie en la-majeur, Cantabile und Pièce héroïque der gängigen Rezeption, was allein schon eine große Bandbreite sinfonischer Farben offenbarte. Zwar beginnt die Fantasie noch mit einem Motiv, das an Bachs »Wachet auf, ruft uns die Stimme« erinnert, wird aber sogleich harmonisch verändert. Feingliedrig führte das Wechselspiel meist auf-, manchmal abwärts, strahlte bald musikalisch von oben herab – also von da, wo die Orgel im Raum platziert ist. Einen besonderen Reiz erfuhren die Stücke in der Gegenüberstellung von Registern und der Verwebung von Teilen – auch die kantable Melodie des zweiten Pièce schwebte nicht allein im Raum. Und das dritte war nicht von vornherein heroisch, sondern entwickelte diesen Anspruch erst im Schluß – dann aber nachdrücklich.

Sebastian Kummer sorgte mit drei recht unterschiedlichen Improvisationen zwischen den Trois pièces für harmonische Umschwünge, auch in bezug auf das jeweils zuvor erklungene Stück. Die erste breitete sich wellenförmig aus, steigerte sich in eine hymnische Fanfare, fand danach zu einer freien Form, ähnlich einer Phantasie, während die zweite ein Motiv in der Wiederholung auf Register aufteilte, spiegelte und schließlich harmonisch auflöste. Die dritte, vielleicht komplexeste, legte ein liedähnliches Thema über eine wippende Figur, durchlief die Tonarten und bezog ihre Lebendigkeit aus der Verbindung von Melodie und strukturellem Aufbau.

Den Schlußpunkt setzte Holger Gehring mit dem größten Werk des Abends, dem Grande pièce symphonique (daher auch nur ein Stück statt dreier wie bei den Kollegen, der Abend war nach Zeitanteilen gerecht geteilt). Anders als Sebastian Freitag hatte der Kreuzorganist versucht, César Francks Spielanweisungen stärker aufzugreifen, die ein deutlich schnelleres Tempo vorgeben, als wir es gewohnt sind. Während Holger Gehring sich bei seinem Lehrer Daniel Roth eine Aufführungsdauer von 29 Minuten angeeignet hat, dürfte sich Francks historisches Maß bei nur 20 Minuten, also einem Drittel weniger (!) belaufen. Ganz so schnell wagte es der Kreuzorganist nicht (bzw. ließ es der Raum nicht zu), mit 22,5 Minuten blieb er dennoch etwa ein Viertel unter dem gewohnten Maß. Auch so blieb aber der sinfonische Charakter erhalten, gab es Ruhe- und Umkehrpunkte – manchmal wirkte Francks Stück sehr sakral, wie ein Gebet – nur in flinken Passagen schien es unseren Ohren eiliger als gewohnt.

30. Juni 2022, Wolfram Quellmalz

Die nächsten Konzerte des Internationalen Dresdner Orgelsommers finden in der Hofkirche / Kathedrale (Eike Eckerstorfer / 6. Juli, Werke von Bach, Mozart und Frieberger) und der Kreuzkirche (Andreas Jost / 13. Juli, Bach, Reger, Martin und andere) statt, bevor der Zyklus mit Christophe Mantoux (Paris) wieder mit einem französischen Programm in die Frauenkirche zurückkehrt (20. Juli, de Grigny, Franck, Duruflé). Beginn: jeweils 20:00 Uhr.

http://www.kreuzkirche-dresden.de

http://www.bistum-dresden-meissen.de

http://www.frauenkirche-dresden.de

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