Andreas Jost bei den Internationalen Dresdner Orgelwochen
Dresden hat Andreas Jost, der sonst als Organist am Grossmünster Zürich tätig ist, schon mehrfach besucht und positiv in Erinnerung behalten. Neben einer Reise mit seiner Orgelklasse zählten vor allem die ersten Aufritte beim Dresdner Orgelzyklus dazu. Nach einem Gastspiel an der Hofkirche vor etwa fünfzehn Jahren folgte später eine Einladung an die Frauenkirche, am Mittwoch schloß sich der Kreis oder Zyklus mit einem Konzert an der Jehmlichorgel der Kreuzkirche.
Eben zur Stunde, da Andreas Jost vorab im »Gespräch unter der Stehlampe« Friederike Hübner vom Musikbureau der Kreuzkirche Rede und Antwort stand, wurde in Zürich eine von ihm organisierte Sommerorgelreihe eröffnet – Organisten spielen oder unterrichten nicht nur, sie organisieren nicht minder. Eine lange Zugfahrt ist da eine gute Gelegenheit, sich ausgiebig den anderen Tasten (am Rechner) zu widmen, meinte der Gast.
Die Tasten (und Pedale) der Orgel sind letztlich aber doch die Hauptaufgabe, wozu zählt, immer neue kennenzulernen. Wunschinstrumente, die er gerne noch spielen wolle, gäbe es einige, gestand Andreas Jost, auch wenn er keines daraus bevorzugt nennen wollte.
»Züricher Spezialitäten … und Anderes« lautete das Programm, und es enthielt gleich ein paar Zürcher Spezialitäten und Lieblingsstücke des Gastes. Mit Johann Sebastian Bachs Präludium und Fuge Es-Dur (BWV 552) durfte ein bekanntes Werk den Abend eröffnen, worin sich Jehan Alains »Le jardin suspendu« (Die hängenden Gärten) versteckte. Alain freilich gehört zu jenen Komponisten, die in der Kreuzkirche schon als Klassiker gelten. Seine Gärten schimmerten im Mondlicht, schienen aber auch Pforten zu geheimen Reichen zu öffnen. Gleichzeitig griffen sie ein Motiv auf, das ebenso bindend bleiben sollte für den Abend – die Chaconne.
Chaconne, Passacaglia, Ground …Rhythmisch prägend, wiederkehrend, mit Variationen, Verzierungen, Steigerungen. Hans Vollenweider (»Mein Wandern hier ist ein Traum«), Lionel Rogg (»Ground«) und Paul Müller-Zürich (»Wie schön leuchtet der Morgenstern«) bildeten mit kleinen Stücken quasi die »Leckerli« und standen für eine lokale Tradition (es gab ebenso in Basel einen Organisten Paul Müller, weshalb der Zürcher seinen Namen um einen Zusatz ergänzte), vor allem konnte man übergreifend den Formen folgen, fand auch bei Vollenweider einen Ground, hier freilich als Unterlegung des Basses, während Lionel Rogg die Form selbst in den Mittelpunkt stellte.
So hübsch diese Mitbringsel waren, so verblaßten sie doch angesichts Frank Marins Passacaille. Denn darin scheint sich nicht nur die Passacaglia c-Moll (BWV 582.1) von Johann Sebastian Bach zu spiegeln, sie übertraf die kleinen Stücke zuvor in der Komplexität deutlich. Andreas Jost brachte gerade diese am modernen Instrument trefflich zum Ausdruck, ließ Chromatik, Struktur und Harmonien wachsen, sich über Terrassenstufen steigern und eine mitreißende Dynamik aufbauen – großartig!
Da mußte selbst Max Reger – nicht eben der unterkomplexeste Komponist – erst einmal nachsetzen. Seine Choralphantasie über »Wie schön leuchtet der Morgenstern« begann (übrigens ähnlich wie die Paul Müller-Zürichs) bereits sehr helleuchtend. Raffiniert trat das Thema dann aber in den Hintergrund, wurde umgeformt, kam wieder deutlicher zum Vorschein – ganz an Martins Glanz reichte es dann nicht heran. Vielleicht aber hätte Max Reger ein solch überirdisches Leuchten gar nicht gewollt? Er scheint das Thema eher musikalisch denn liturgisch phantasiert zu haben.
14. Juli 2022, Wolfram Quellmalz
Nächste Konzerte des Dresdner Orgelzyklus: 20. Juli: Frauenkirche, 27. Juli: Hofkirche (Kathedrale), 3. August: Kreuzkirche