Original und Fälschung oder Erfindung und Nachahmung

Teil 3 der Konzertreihe re:actions

Die Idee zur Jahreskonzertreihe des KlangNetzes Dresden, erinnerte Olaf Georgi von der Sinfonietta Dresden im Vorabgespräch, ist nicht aus der Luft gegriffen, sondern bezieht sich direkt auf die aktuelle Sonderausstellung »Fake. Die ganze Wahrheit« im Deutschen Hygienemuseum.

Im Großen Saal des Hauses wurde am Freitagabend die Konzertreihe re:actions fortgesetzt. Die Reaktionen folgen dabei auf unterschiedliche Impulse. Das Aufgreifen vorhandenen musikalischen Materials ist nur ein Teil davon, viele der Stücke sind durch elektronische Zuspielungen mit externen Ereignissen verbunden. Elektronik und Videomaterial – aus dem »Konzert« wird das, was man heute gemeinhin »Performance« nennt. Im dritten Teil der Reihe wurde deutlich, daß die Folge der Uraufführungen keineswegs seriell sein muß. In jedem der Konzerte wird ein neues Werk vorgestellt, das sich auf die Uraufführung der vorangegangenen Veranstaltung bezieht. Jaei Hyuk-Ras »Gap III« schließt jedoch nicht nur Juan Muñoz Campo mit »Nebel und mehr Landschaften« ein [UA im Juni, NMB berichteten], sondern auch Julia Waldecks »Nebelmeer«, mit dem die Reihe im Mai begann, sowie andere Werke des Freitagabends. Videoausschnitte früherer Aufführungen gehörten dazu, freilich wurden die Bilder erneut bearbeitet, ausgeschnitten, vervielfältigt, verändert, so daß sie zu Comiczeichnungen mutierten. Und so erkannte man im Concerto grosso (Untertitel) nicht nur die Imitationen aus »Nebel und mehr Landschaften« wieder, auch die Reibung als grundlegender physikalischer Ausgangspunkt zur Erzeugung von Tönen (Geräuschen) blieb immanent.

Denn Reibung war schon zu Beginn ein wesentliches Merkmal in Shin-Shinai für 2 Perkussionisten und Streichorchester von Malin Bång. Auch sie öffnete den Klangraum über das instrumentale hinaus, denn die Spieler mußten sich mit Atemgeräuschen und Artikulation beteiligen, gleichzeitig wurden über zwei Kassettenrekordern (tatsächlich zwei alte Bandgeräte) Geräusche aus asiatischen Kampfsportarenen (Shinai istein japanisches Bambusschwert) eingespielt. Mit dem Öffnen ging allerdings ein Verlust der Tiefe einher, das rein musikalische Aufnehmen (Hören) verflachte angesichts vieler Ablenkungen, die nicht immer zwingend waren. Teilweise, weil sie sich nicht immer nachvollziehen ließen, und sei es, weil die Individualität der Komponistin nicht der eigenen Subjektivität entspricht. Andererseits kann es vielleicht gerade von Gewinn sein, sich von der (gewohnten) »Sicht« und Zuhörerperspektive zu lösen? Ein Besuch der Ausstellung »Fake. Die ganze Wahrheit« direkt vor dem Konzert wäre ein interessantes Experiment.

Ohnehin sind die Experimente der re:actions vielfältig. Zum Spiel des Versteckens (Komponist) und Entdeckens (Zuhörer) kommt das Spiel der Spieler, in diesem Fall der Sinfonietta Dresden. Die hatte am Freitag sogar noch eine zweite Uraufführung im Programm: »Monsieur Satie – Phonométrographe« von Oliver Korte. Eine Art Portrait, viel mehr als eine Instrumentierung von Klavierwerken Erik Saties, selbst wenn Oliver Korte darauf verwies, daß die Stücke nicht von ihm seien, er sie nur ausgewählt und zusammengestellt habe. Anfangs entstand in seiner Übertragung auf das Orchester eine Ausdruckskraft wie in den »Bildern einer Ausstellung« (noch ein orchestriertes Klavierwerk), doch nach und nach wurde die Subjektivität des Komponisten Korte deutlich, der sein eigenes Wahrnehmen der Stücke in einem neuen Werk herausstreicht. Zunächst schienen die vielfarbigen Stimmverteilungen auf sämtliche Streicher und Bläser im Vergleich zum Original auf dem Klavier zu üppig, zu effektvoll, aber allmählich schälte sich das Portrait heraus: eine Art Über-Satie, wie ein Gemälde mit falschen, übertriebenen Farben – oder so, wie jemand Satie hört, wenn er in einem Rauschzustand ist.

16. Juli 2022, Wolfram Quellmalz

Nächstes Konzert der Reihe re:actions: »The wetware trombone« KlangNetz Konzertperformance mit Günter Heinz, 19. September 2022, 19:30 Uhr, Großer Saal des Deutschen Hygienemuseums.

weitere Informationen unter:

http://www.sinfonietta-dresden.de/

http://www.klangnetz-dresden.de/

Die Ausstellung »Fake. Die ganze Wahrheit« im Deutschen Hygienemuseum ist noch bis zum 5. März 2023 zu sehen (http://www.dhmd.de).

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