Aapo Häkkinen und Marcos Magalhães beim Letní slavnosti staré hudby
Am Sonntag besuchten die NMB wieder einmal das Letní slavnosti staré hudby, ein Sommerfest für Alte Musik in und um Prag. Diesmal ging es ins Břevnovský klášter (Stift Břevnov / Breunau) zu einem Konzert mit zwei Cembali. Aapo Häkkinen und Marcos Magalhães lockten viele Musikfreunde in den Tereziánský sál (Theresianischer Saal) des Stifts – ausverkauft!

Ob auf Verdacht, Vermutung oder weil sie es wußten – sie kamen alle auf ihre Kosten, denn das finnisch-portugiesische Tastenduo erwies sich als temperamentvoll und gut eingespielt. Seine Ausgewogenheit begann schon in den Instrumenten – es ist durchaus nicht leicht, zwei so gleiche (und nicht baugleiche) Cembali zu finden oder abzustimmen. (Immerhin gäbe es ja die Möglichkeit, deren Individualität aufzugreifen und in der Programmdramaturgie zu berücksichtigen.) Doch Aapo Häkkinen und Marcos Magalhães konnten sich auf sich und ihre Gestaltungskraft verlassen, wußten Akzente, Schwerpunkte zu verschieben und waren so in der Lage, gerade feine Nuancen herauszustellen.
In den Mittelpunkt setzten sie Vogelgesang. Manchmal, weil die Musik dessen luftiges Gezwitscher nachahmte, dann wieder, weil es dessen Geist nahekam. Einige der Werke nahmen einen direkten Bezug, wie Jean-Philippe Rameaus »Le Rappel des Oiseaux« oder Georg Friedrich Händels Concerto F-Dur (HWV 295), das den Untertitel »Der Kuckuck und die Nachtigall« trägt. Es ist im Original für Orgel und Orchester geschrieben – viele der dargebotenen Werke waren Bearbeitungen. Doch auch hier erwies sich die Ausgewogenheit der beiden Instrumente als wohltuend und -gesetzt – Aapo Häkkinen und Marcos Magalhães konnten ihre Duette (oder Duelle?) in feinen Verzierungen und Melodiebögen ausrichten, den Klang ihrer Cembali verschlingen und umschließen, ohne mißtönig zu werden. Schließlich gerät ein Kuckuck – immerhin einem alten Volkslied nach der Gewinner im Duett mit dem Esel – irgendwann an seine Grenzen, spätestens dann, wenn sie ihm eine Nachtigall aufzeigt.
Mit Werken von François Couperin, Jean-Philippe Rameau und François d’Agincourt gab es einen französisch geprägten Mittelteil, der die ganze Eleganz, Eloquenz (die auf den Tasten nicht verlorenging) und tänzerische Freiheit unserer westlichen Nachbarn zeigte. Manches entlud sich effektvoll und reichhaltig wie in Rameaus »Rappel«-Spiel, wo sich insistierende Wiederholungsrufe und Triller überboten. Mit François Couperins »Les Fauvètes plaintives« führte Aapo Häkkinen später solistisch den Gesang der Grasmücke silbrig und filigran vor – der klagende Unterton des Titels war darin fein eingeschlossen.
Jean-Féry Rebels letzte Komposition »Les Éléments«, dürfte in ihrer Entstehungszeit eine kolossale Wirkung gehabt haben. Entstanden ist sie wohl für ein »sprachloses Ballett« (also ein Ballett ohne gesprochene oder gesungene Texte, im Gegensatz zu den in Frankreich damals üblichen Opernfassungen mit integriertem Ballett) und trägt den Untertitel bzw. die Bezeichnung »simphonie nouvelle«, also »neuartige Sinfonie« (im Gegensatz zu nouvelle simphonie, was nicht mehr als »neue Sinfonie« bedeuten würde). Das Werk ist nicht weniger als eine Schöpfungsgeschichte, zwar nicht mit biblischen Szenen und Figuren, doch es beginnt mit einem Chaos (oder »Cahos«, originaler Partitureintrag), sodann treten Erde und Wasser in einem Satz auf (was der Schöpfungsgeschichte am 3. Tag entspricht, als Wasser und Erde getrennt wurden), erst später tritt die Luft hinzu, welche den Atem und Himmel einschließt.

Noch in der Fassung für zwei Cembali kann man sich dem gewaltigen Chaos, das Rebel im wohl ersten Cluster der Musikgeschichte darstellte, nicht entziehen. (Im Vergleich ist Haydns sorgsam beschriebenes Chaos kein elementar gewaltiges, sondern ein geistiges, intellektuelles, eine Unordnung bzw. ein den Regeln widersprechender Zustand.) Noch vor der Luft tritt das Element Feuer auf, das jedoch keine Gewalt, keine Zerstörung, keine Feuersbrunst bewirkt. Aapo Häkkinen und Marcos Magalhães stellten seinen prometheischen Charakter heraus, lebens- und geistspendend – wer das Feuer beherrscht, ist ein Akteur, nimmt sein Schicksal in die Hand.
Bei solch beeindruckender Darstellung möchte man doch zu gern einmal die Orchesterfassung oder – wenn es so etwas denn gab – das Ballett erleben. Denn wie anders könnte das beschaffen sein denn als ein Ausdrucksballett?
Die Beruhigung nach dem Chaos lag noch bei Rebel selbst. Seine Sicilienne ruhte in sich, war nicht nur von Tempo und Rhythmus geprägt, Eleganz und Gelassenheit sind es, die einen ruhigen Schlaf (welche das Wiegenlied ursprünglich einleiten soll) erlauben, bevor die Caprice, die Laune, Idee, der Einfall, die Freiheit der Menschen zu beschwören scheint.
Die emotionale Aufregung Rebels hatte sich also schon gelegt, als Johann Sebastian Bachs Konzert für zwei Cembali C-Dur (BWV 1061) erklang. Nun wieder ganz vergeistigt konnte man das dialogische Prinzip verfolgen, in dem sich die beiden ebenbürtigen Instrumente gegenüberstanden. Bei so viel Aufgewecktheit und Vitalität durfte sich das Publikum noch über eine Zugabe freuen, auch wenn es »nur« eine Wiederholung war. Mit der Chaconne aus Jean-Féry Rebels »Les Éléments« fiel sie aber noch einmal großartig aus.
25. Juli 2022, Wolfram Quellmalz