Deutsche Streicherphilharmonie sicher auf dem Konzertsaalparkett
Werden Schuhe im Dresdner Kulturpalast langsam zum Problem? Kürzlich erst mußte Jean-Yves Thibaudet mit Turnschuhen auftreten, am Donnerstag stach ihn Wolfgang Hentrich, im Hauptberuf Konzertmeister der Dresdner Philharmonie, glatt aus: Lackschuhe zum schlichten schwarzen Anzug – vollkommen overdressed! (Im Gegensatz dazu treten manche Solisten heutzutage barfuß auf.) Doch der Palast kann nichts dafür und die Erklärungen sind so einfach wie nur denkbar: Thibaudet war auf der Reise ein Koffer mit Schuhen abhandengekommen, Hentrich borgte die seinen einem Orchestermitglied und schlüpfte selbst flugs in die im Haus bereitstehenden Frackschuhe.
Musikalisch hat so etwas ohnehin keine Bedeutung, oder eine andere. Die verborgten Schuhe gehörten zu einem Tagesablauf, mit dem Musiker rechnen müssen: Hitze, Stau bei der Anreise, mit dem Bus nicht zum Hotel, sondern direkt zum Auftrittsort, wo man erst merkt, daß etwas fehlt. Das »Hotel« war in diesem Fall übrigens eine Jugendherberge, den auch wenn die Deutsche Streicherphilharmonie (DSP) es im Namen nicht verrät: sie ist ein Jugendorchester mit Musikschülerinnen und -schülern zwischen elf und zwanzig Jahren, die derzeit für ihre Sommertournée (fünf weitere Termine bis 31. Juli / Musikverein Wien) zusammenkommen.
In Béla Bartóks Rumänischen Volkstänzen kehrte die DSP unter Wolfgang Hentrichs Leitung die bestimmenden Charakteristika kontrastierend heraus, zeichnete im »Brâul« ein fragiles Nebelmeer und ein Gegenstück zu den sonst meist schwungvollen Sätzen.
Mit Noa Wildschut betrat danach eine Geigerin die Bühne, die kaum älter ist als die Ältesten in der DSP. Für das Violinkonzert E-Dur (BWV 1042) von Johann Sebastian Bach war das Orchester (um die 90 Musiker) allerdings um einiges verkleinert, dafür aber um ein Cembalo (Sabine Erdmann) ergänzt worden. Noa Wildschut spielte nicht vor, sondern im Orchester, stand zwischen den jungen Kollegen und bewies eine große und raffinierte technische Versiertheit. Ihr schlanker, leicht romantischer Ton war nicht einfach lyrisch, sie formte ihn beständig, ließ ihn dynamisch wachsen, dann wieder in kaum hörbare Piani sinken. Manches davon, vor allem Tempofreiheiten in langsamen Passagen, bei denen die Solistin das Orchester führte, war etwas reichlich, versah Bach mit zu viel Effekt. Zudem war die Balance zwischen Solistin und Orchester bzw. Continuogruppe nicht immer ideal. So verlor die Violine manchmal an Präsenz, dann brummten die Celli des Continuos (trotz Reduzierung immerhin noch sechs) im Verhältnis etwas laut.
Auch in ihrer Zugabe, Nr. 3 aus den Tango-Études von Astor Piazzolla, ging Noa Wildschut sehr frei mit dem Tempo um, was nicht nur Betonungen schaffte, sondern einmal für einen Stillstand (bei Piazzolla überraschend) sorgte. In Sachen Können und Ausdruckskraft beeindruckte die junge Solistin allerdings ungemein.
Mit Antonin Dvořáks Serenade für Streichorchester ging das offizielle Programm zu Ende. Der sommerliche Ausklang nahm – jetzt wieder mit dem ganzen Orchester – den Schwung vom Anfang wieder auf, geriet hier und da (Scherzo) freilich etwas wuchtig. Die Spritzigkeit fehlte aber nicht – die anwesenden Dozenten vom Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (Patenorchester der DSP) dürften höchst zufrieden gewesen sein. Schließlich handelt es sich auch um kein permanentes Orchester, noch dazu eines, das einem jährlichen Generationenwechsel unterworfen ist.
In den Zugaben trumpfte es noch einmal auf und brillierte schließlich: Auf zwei Bearbeitungen, »Sie spielte Cello« (Udo Lindenberg!) und »Fluch der Karibik« gab es noch ein sommerliches Gewitter von Antonio Vivaldi mit dem Konzertmeister (an diesem Abend Gregor Pollini) als Solisten.
22. Juli 2022, Wolfram Quellmalz
Die nächsten Termine sind schon avisiert: am 9. November dieses Jahres kehrt die DSP für ein Gedenkkonzert zu den Pogromnächten in den Kulturpalast zurück, am 6. Januar 2023 spielt sie mit dem Chopin-Preisträger Rafał Blechacz (Programm wird noch bekanntgegeben). Weitere Informationen: http://www.musikschulen.de/dsp/