Konstantin Reymaier im Dresdner Orgelzyklus an der Hofkirche
Die Silbermannorgel der Dresdner Hofkirche (Kathedrale) ist nicht nur ein Wunsch- und Lustobjekt, sondern auch eine Herausforderung – sie will erfahren, ertastet, erlauscht werden. So lassen sich, wie gerade in jüngster Zeit häufig erlebt, selbst Werke darauf spielen, die deutlich nach ihrer Fertigstellung geschrieben wurden. Domorganist Konstantin Reymaier, Gast der Internationalen Dresdner Orgelwochen von St. Stephan Wien, tat dies gestern einmal nicht, womit er fast schon aus der Reihe der jüngsten Konzerte herausstach. Ohne die Legende der nicht zustande gekommenen Begegnung zwischen Johann Sebastian Bach und Louis Marchand zu sehr zu belehnen, führte er eine Zusammenkunft Bachs mit französischer Orgelmusik seiner Zeit herbei.
Zwei Offertoires von François Couperin (den Bach definitiv nicht getroffen hat) rahmten das Programm und entführten die Zuhörer spürbar in eine Zeit, als Tonalität, Harmonie und Stimmung noch anders geprägt waren. Das Stück aus der Messe par l’usage des Paroisses (zur Nutzung in den Pfarreien) eröffnete mit seinem Introitus-Charakter (fast einer Prozession gemäß) den Abend, eine für die Klöster (Messe par l’usage des Couvents) schloß ihn ab. Darin verbanden sich der klare, kräftige Silberklang des Silbermanninstruments, mit fein strukturierter Ornamentik, die – das gelang Konstantin Reymaier besonders schön – eine Filigranität des Cembalos nachempfand, was insofern sehr passend war, weil Couperin vor allem auch ein Meister des Cembalos war. Übrigens ist seine Orgel (erbaut von Thierry) in der Kirche St. Gervais, Paris, bis heute erhalten.
Im Kern des Programms standen sich zwei Suiten gegenüber: Jean Adam Guilains Suite du second ton und Johann Sebastian Bachs Suite Nr. 2 h-Moll (BWV 1067). Im Vergleich mit Couperin fiel (bei ähnlicher Harmonie / Tonalität) der doch sehr orchestral verwobene Klang auf. Fast könnte man ihn »sinfonisch« nennen – ungewöhnlich für Musik dieser Zeit! Vielleicht hatte der Organist hier eine Registrierung gewählt, die einem geschlossenen Instrumentalensemble nahekam, zumindest könnte gerade das folgende Bach-Stück dies vermuten lassen. In manchen Sätzen (Duo) schien es so, als würde mehr geboten (gespielt) als angekündigt (zwei Stimmen). Dennoch behielt Guilains Suite ihre Prägnanz, wie im Basse de trompette. Das nachfolgende Trio des flutes wiederum schien auf der Orgel gewachsen zu sein. Großartig geriet das Petit plein jeu, was schon wie ein Wortspiel (die Bezeichnung enthält »klein« und »ganzes Spiel«, scheinbar ein Oxymoron) anmutete. Was Konstantin Reymaier daraus machte, war ein leichter, luftiger, kammermusikalischer Klang.
Johann Sebastian Bachs h-Moll-Suite, vor allem der Schlußsatz »Badinerie« (musikalische Schäkerei), gehört zu den bekanntesten Kompositionen des Thomaskantors. Die Bearbeitung Konstantin Reymaiers war erstmalig in der Hofkirche zu hören. Sie folgte dem Klang eines kleinen Orchesters (bzw. stellte diesen nach), blieb dabei aber sinfonisch dicht, also anders als bei einem Concerto grosso mit vielen heraustretenden Solisten. Der geschmeidige, gefällige Ton war dem Bearbeiter dabei wichtig, und so wählte er – von unseren Hörgewohnheiten abweichend – eine kleine Flötenstimme für die Soli und keine Entsprechung einer modernen Querflöte.
Nach einer ersten Zugabe (Wiederholung aus der Bach-Suite) gab Konstantin Reymaier dann noch einmal etwas ganz ungewöhnliches nach. Vielleicht als Ausklang und Verabschiedung (immerhin ist es in katholischen Kirchen üblich, die Gläubigen nach der Messe oder dem Hochamt mit Orgelmusik zu entlassen) spielte er Johannes Brahms‘ »Guten Abend, gut‘ Nacht«, wobei der Domorganist die Silbermannorgel dann doch »aus der Zeit« katapultierte und sie tremolieren ließ, so daß sie ein wenig wie eine Hammond-Orgel klang.
28. Juli 2022, Wolfram Quellmalz
Nächste Konzerte des Dresdner Orgelzyklus / Internationale Dresdner Orgelwochen (Beginn jeweils 20:00 Uhr): 3. August, Kreuzkirche, James O’Donnell (Westminster Abbey / London), 10. August, Frauenkirche, Isabelle Demmers (USA), 17. August, Hofkirche, Damien Simon (Straßburg)