Gustav Mahler Jugendorchester zu Gast bei der Sächsischen Staatskapelle
Der Termin hat eine lange Tradition – das Gustav Mahler Jugendorchester (GMJO) kommt in jeder Spielzeit vor der eigenen Eröffnung zur Sächsischen Staatskapelle nach Dresden. In diesem Jahr gastierte das Orchester allerdings nicht in der Semperoper, sondern, nur wenige hundert Meter entfernt, in der Frauenkirche. Anders als geplant konnte Herbert Blomstedt die Gastspielreise anläßlich seines 95. Geburtstages jedoch nicht leiten – die Ärzte hatten ihm nach seinem Sturz im Sommer davon abgeraten. Mit Jukka-Pekka Saraste hatte das GMJO aber einen angemessenen Ersatzmann gefunden.

© Oliver Killig
Daß auch die erhabenen, monumentalen Sinfonien Anton Bruckners in die Frauenkirche »passen« haben mittlerweile schon viele Dirigenten und Orchester bewiesen. Voraussetzung ist, daß die richtige Aufstellung gewählt und in den Tempi Rücksicht genommen wird. Jukka-Pekka Saraste hatte beidem die notwendige Aufmerksamkeit geschenkt, ließ den Nachhall gewähren und bezog gerade daraus wirkmächtige, beeindruckende Momente. Wer ließe sich nicht erfassen, wenn ein Tuttischlag am Ende des Satzes (oder mittendrin vor einer Generalpause) hinten an der Kirchenwand oder oben in der Kuppel brandet? Das GMJO bezog aus dem kultivierten Phänomen einen Teil seiner beeindruckenden Darstellung.
Im wesentlichen lag diese aber in der sorgsam gewählten, der Struktur der Sinfonie folgenden Einteilung und Auswägung zwischen Streichern und Bläsern, Tutti, Gruppen und Solisten. Und so gelangen dem Dirigenten immer wieder beeindruckende Momente, wie schon zu Beginn, als die Sinfonie in den Streichern heranzuschweben schien und dann in den Bläsern aufflammte. Erhabenheit allein kennzeichnet Bruckner denn doch nicht, vor allem nicht diese Sinfonie, in deren Allegro moderato sich ein geheimnisvolles Wagner-Leuchten, ein Tristan zu mischen scheint. Jukka-Pekka Saraste ließ das GMJO gewähren, regte viel an und gab Raum, formte vor allem die Konturen, womit Einsätze, Soli (Flöten!) und Pauken perfekt »saßen«. Das beeindruckt schon deshalb, weil das Orchester zuvor an ganz unterschiedlichen Orten verschiedene Programme gespielt hat. So gab es in Bozen und Salzburg Schubert und Sibelius zu hören, Bruckners siebente spielte das GMJO zuvor am Sonnabend im Kloster Ebersbach.
Der erste Satz steigert sich in einen Sturm der sich im Sturm auflöst – die sinkende Hand des Dirigenten schien ein »Daumen hoch« zu signalisieren. Das tief, dunkel und schwer beginnende Adagio gewann an Freiheit, behielt aber die Spannung – bedenkt man, daß hier Studenten (die besten Europas immerhin) in einem nicht permanenten Orchester sitzen, war beeindruckend, was sie erschufen.
Vielleicht lag es an der Bedachtsamkeit, mit der Jukka-Pekka Saraste vorging. Sorgsam, sorgfältig arbeitete er alles aus, so gewann gerade die Konturschärfe der Klüfte an Deutlichkeit. Aber auch das innerlich bebende vernachlässigte er nicht, zumindest die extrovertierte Elemente ließ Saraste hervorschießen, wie ein sagenhaftes Vibrieren (Finalsatz), daß körperlich zu spüren war – geformt wurde es aus dem Tremolo der Streicher und den unwiderstehlichen Akzenten der Pauke.
So blieben kaum Wermutstropfen, sieht man einmal davon ab, daß ausgerechnet die Dresdner Musikhochschule (wieder) keinen oder kaum einen Vertreter in den Reihen des Orchesters hat, während die Namen Weimar, Leipzig oder Rostock häufig in der Besetzung auftauchen …
30. August 2022, Wolfram Quellmalz