Kreuzchorvesper schafft Verbindung von Musik und Anlaß
Erst vor einer Woche war der Kreuzchor in der Vesper der Dresdner Kreuzkirche aufgetreten, da gestaltete er – oder ein Teil von ihm – auch die Vesper zum Erntedankfest. Kreuzkantor Martin Lehmann und der Männerchor des Dresdner Kreuzchores setzten damit im bereits dritten Termin die begonnenen neuen Wege fort – sowie jene, die schon in der Vergangenheit begonnen hatten.

Zu den neuen Bestandteilen gehört ein frisch für den Kreuzchor komponierter Introitus von Wilfried Krätzschmar, der sich diesmal mit dem Erntedankfest (Texte nach Psalm 104, 24.14–15a.27–28) befaßt hatte. Martin Lehmann ordnete den asymmetrisch aufgeteilten Chor bzw. dessen Aufstellung noch während der Orgeleinleitung. Die besondere Fokussierung hat sich schnell bewährt, der Wechsel von kleinem Ensemble (in diesem Fall à sechs Sänger) und großem Chor sorgt für eine Vertiefung, ohne grelle Kontrastwirkung bemühen zu müssen.
Ebenso vertiefend war die enge Verknüpfung der Motetten bzw. Geistlichen Chormusiken von Johann Staden (»Herr, unser Herrscher«) und Leonhard Lechner, dessen »Danket dem Herren« mit Wiederholung einen Rahmen bildete. Während Lechner die Kraft des großen Chores hervorhebt, hatte Staden Textbetonungen durch verteilte Stimmen geschaffen. Die Männerstimmen des Kreuzchores erwiesen sich als so flexibel wie ausdrucksstark und bedeutungssicher, wie auch bei Ludwig van Beethovens »Die Ehre Gottes aus der Natur« (»Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre« im Satz von Carl Reinecke), welches den Klangeindruck eines sehr geschlossenen Chores hervorbrachte.
Die Wege (»Versuche« möchte man gar nicht sagen) Martin Lehmanns scheinen vielseitig und einfallsreich zu bleiben, und so sorgte erneut der Ablauf für eine Wechselwirkung, wobei noch einmal Johann Staden zu hören war: Sein »Aller Augen warten auf dich, Herr« stand diesmal mit zwei Geistlichen Sommermusiken Rudolf Mauersbergers im Austausch. Beinahe leichte, frohe, lebensfrohe Zeilen wechselten mit dunkleren Farben, ohne daß sich Schatten der Mahnung dämpfend oder trübend auswirkten.
Nicht nur musikalisch, auch in übertragenen Sinnen galten an diesem Tag Blickrichtung und Standpunkte: Pfarrer Holger Milkau hob in seinem Geistlichen Wort deren Bedeutung für unsere Orientierung und Vertrautheit hervor.
Selbst im Gemeindegesang (EG 289: »Nun lob, mein Seel, den Herren«) war eine Wechselwirkung mit dem Chor vorgesehen – die in den letzten Jahren begonnenen Konkretisierungen der Liturgie erfahren in diesen Tagen eine noch bessere Verständigung und Aufnahme.
Der besondere Anlaß des Erntedankfestes brachte auch ein Werk ins Programm, das man eigentlich der katholischen Musik zuordnet: ein Magnifikat. Das Noni Toni für Männerschola und Orgel von Samuel Scheidt griff eine Tradition auf, bei der gesungene Strophen mit solchen abwechseln, bei denen die Orgel den gesungenen Text ersetzt (die Gemeinde kannte die liturgischen Formel also, heute sind sie im Programm natürlich vermerkt). Die kleine Schola war ein Vokalensemble von acht der Männerstimmen des Kreuzchores, das sich mit Jonathan Auerbach an der großen Orgel abwechselte. Solch herrliche Musik in der Vesper zu erleben, war ein Genuß, der nicht zuletzt für Offenheit und Toleranz des gelebten Glaubens steht! Und für ein (neues?) Selbstbewußtsein der Kruzianer, zumindest eines, das nur wünschenswert ist. Von diesen »Flügeln« wird noch manches getragen, am gestrigen Sonnabend waren drei der »Knaben« bzw. Männer (Friedrich Schöne / Tenor sowie Gustav Schade und Anton Matthes / Baß mit Angela Brandt an der Altarorgel) als Solisten in Kleinen Psalm- bzw. Geistlichen Konzerten von Georg Philipp Telemann (Preiset mit mir den Herrn) und Thomas Selle (Danket dem Herren) zu erleben.
Die Gemeinde war – wie an Festtagen üblich – ebenso in die Liturgie eingebunden, wobei das »Dresdner Amen« (im Satz von Johann Gottlieb Naumann) natürlich nicht fehlen durfte. Und damit war noch längst nicht Schluß – »The Lord is my Shepherd« (Psalm 23) von Noble Cain trug einen Wandel in sich, steigerte sich bei »Thou preparest a table bevor me« (Du bereitest vor mir einen Tisch …) und führte selbst ohne ein bekräftigendes »Amen« zu einem die Erfüllung versprechenden Schluß (forever / immerdar).
2. Oktober 2022, Wolfram Quellmalz
Der Kreuzchor begibt sich im Oktober (14. bis 18.) auf eine kleine Gastspielreise durch Deutschland und Belgien. Mehr unter: kreuzchor.de
Am kommenden Sonnabend, 8. Oktober 2022, 17:00 Uhr, gestaltet der Chor der Hochschule für Kirchenmusik die Kreuzvesper, Leitung: Stephan Lennig, Solisten: Clara Först (Sopran), Benjamin Sawicki (Tenor), Manuel Rotter (Orgel), außerdem: Kreuzorganist Holger Gehring (Orgel), Superintendent Christian Behr (Liturgie), Werke von Claude Goudimel, Melchior Franck, Heinrich Schütz, César Franck, Wolfgang Hufschmidt, Christian Ridil, weitere Informationen unter: http://www.kreuzkirche-dresden.de