Andreas Scheibner interpretierte eine der berühmtesten Bachkantaten in der Kreuzvesper
Das Kirchenjahr nähert sich am 19. Sonntag nach Trinitatis langsam dem Ende, Erntedank ist vorbei, der Reformationstag noch nicht da – mittendrin gab es am Sonnabend in der Dresdner Kreuzkirche dennoch ein ganz besonderes Werk zu erleben: Johann Sebastian Bachs »Kreuzstabkantate« (BWV 56, für genau diesen Sonntag geschrieben). Andreas Scheibner machte daraus ein großartiges Erlebnis.

Zum Einzug spielte Peter Kopp zunächst die Fantasia h-Moll (aus: Zehn kleine Orgelstücke) von Herbert Peter. Der Leiter des Vocal Concert Dresden übernahm diesmal auch das Orgelspiel und wechselte dafür zweimal zwischen großer und Truhenorgel. Und bescherte gleich nach dem Einzug mit Johann Herrmann Scheins »Wie lieblich sind deine Wohnungen« einen Ruhepunkt – als »Gelegenheitskomposition« wird das großartige Werk tatsächlich bezeichnet! Mit acht Sängerinnen und Sängern kehrte das Vocal Concert Dresden die schlichte Schönheit des Stückes heraus.
Natürlich war die »Kreuzstabkantate« ein musikalischer Höhepunkt in dieser Andacht. Andreas Scheibner verlieh nicht nur der ersten Arie eine dramaturgische Steigerung (so ein Vibrato wirkt belebend!), er konnte ebenso melismatische Betonungen einweben, also ohne daß der Effekt im Vordergrund stand. So entstand nicht nur ein Spannungsbogen über dem ganzen Werk, sondern auch eine »Brücke« zwischen dem zweiten Rezitativ und der ersten Arie, welche beide in die Zeilen »Da leg ich den Kummer auf einmal ins Grab | Da wischt mir die Tränen mein Heiland selbst ab« münden.
Nicht unwesentlich dabei war die gediegene Unterstützung des Philharmonischen Kammerorchesters (Konzertmeister: Alexander Teichmann). Einzig daß das Vocal Concert Dresden beim Choral hinter den Instrumentalisten stand, war ungünstig, da die Verständlichkeit darunter litt.
Pfarrer Holger Milkau nahm den Kreuzstab zum Anlaß, über das zu sprechen, was uns (oder einzelnen) »ein Kreuz« ist sowie über das Annehmen (oder Hinnehmen) von Unannehmlichkeiten – schon das Wort ist ein Begriff der Vorsicht.
Erasmus Albers Verse über »Christe, du bist der helle Tag« standen schließlich im Gemeindelied (EG 469, 1 bis 5) und in Dieterich Buxtehudes Kantate (BuxWV 10) im Mittelpunkt. Noch einmal auch Gelegenheit für das Philharmonische Kammerorchester und vor allem Alexander Teichmann, die Vesper mit kleinen, brillanten Soli zu verzieren.
23. Oktober 2022, Wolfram Quellmalz
Am kommenden Sonnabend gestaltet das Ensemble VokalChoral (Leitung: Marcus Steven) die Kreuzvesper. Es erklingen Werke von Heinrich Schütz, Aaron Copland, Felix Mendelssohn und anderen. http://www.kreuzkirche-dresden.de