A-cappella im Advent

dresdner motettenchor in der Loschwitzer Kirche

Gleich zweimal präsentierte der dresdner motettenchor des Heinrich-Schütz-Konservatoriums sein Adventsprogramm: am Sonntag in der Dreikönigs- und am Mittwoch in der Loschwitzer Kirche. Keine schlechte Idee von Leiter Matthias Jung – bei Terminüberschneidung oder einfach nach dem Ort bestand eine Auswahl- bzw. Ausweichmöglichkeit. Außerdem mündeten die Proben für die Sängerinnen und Sänger nicht in ein einmaliges Ereignis. Ganz ohne Instrumentalisten ging es durch die Jahrhunderte. Und durch die Länder – aus England, Amerika und Skandinavien stammten viele der Kompositionen.

Der dresdner motettenchor zeigte sich in jeder Hinsicht als flexibler Interpret. Ob in den Sprachen oder im Stimmsatz – nach den meisten Titeln gab es eine kleine Neuausrichtung. Im Zentrum blieb aber der Advent oder, so im Programmtitel genannt, der »helle Morgenstern«. Das schloß bekannte Texte ein, oft aber erklangen sie in neuen Fassungen – vom zwanzigsten Jahrhundert bis heute waren dreizehn Kompositionen enthalten, allein vier davon (James MacMillan »O radiant dawn«, Trond Kverno »Corpus Christ carol« und »Ave maris stella«, Eric Whitacre »Lux aurumque« sowie Arvo Pärt »Morning star«) aus der Feder lebender Schöpfer.

Nicht wenige Lieder verbanden alte Texte mit Harmonie, die nicht nur modern schienen, sondern die Brüche des Zeitenlaufs oder die Lebenserfahrungen der Komponisten einschlossen. Matthias Jung machte bei James MacMillan und Herbert Howells (»Long, long ago«) bittersüße Gedanken aus, was jedoch nicht allein kennzeichnend für ihre Zeit war – Peter Warlocks »Bethlehem down« blieb frei davon. Freilich darf man feststellen, daß Lieder wie »Laetentur coeli« (William Byrd) oder »O nata lux de lumine« (Thomas Tallis) die Zuhörer harmonisch noch unmittelbarer umarmen.

So konnte der Chor viele Charakterzüge offenbaren. Verblüffend Günter Raphaels »Ich steh an deiner Krippen hier« – wie gut, daß man den Komponisten über »Maria durch ein Dornwald ging« hinaus wiederentdecken kann! Bei Raphael wird die überlieferte Harmonik aufgebrochen, jeweils paarweise stehen sich Modernität und Tradition gegenüber. Um so schöner, daß dem Motettenchor eine geschlossene Form gelang!

Gleich mehrfach bezogen sich die Texte auf den Morgenstern oder die Ankunft des Heilands bzw. Geburt Jesu, doch in manchen Sichtweisen – nicht nur die Musik, auch die Texte hatten verschiedene Ursprünge. Matthias Jung band dies in kurzen Moderationen stimmig ein und erinnerte so unter anderem an den heute fast vergessenen Albert Becker – einst sollte der hochangesehene Komponist Thomaskantor werden, doch Wilhelm II. wollte auf den Leiter des Königlichen Domchores zu Berlin nicht verzichten. In Beckers schlicht »Weihnachtsmotette« genanntem Stück vereinigen sich fugierte Textpassagen mit dem »Vom-Himmel-hoch«-Choral in einer Tradition, wie sie zum Beispiel Gottfried August Homilius geprägt hatte. Der dresdner motettenchor fand darin zu einer sehr ausgewogenen Interpretation, die teils parallellaufenden Textzeilen ließen sich dabei mühelos verfolgen – wunderbar! Die Vielschichtigkeit des Chores zeigte sich aber auch in individuellen Ausprägungen, wenn etwa einzelne Soli (Eric Whitacre) durchdrangen oder Männer- und Frauenstimmen kurzzeitig getrennte Rollen übernahmen (Trond Kverno).

Immer wieder gab es solche »Berührungspunkte«, Titel, die ganz besonders trafen. Manche, weil sie stark mit der Überlieferung verbunden sind, wie Max Regers »Unser lieben Frauen Traum«, andere, weil sie unserer Zeit entsprungen, aber bereits Klassiker geworden sind. In Skandinavien und im Baltikum zum Beispiel entstehen bis heute viele solcher Werke, welche sich durch eine lebendige Chorlandschaft schnell verbreitet haben. Das vor gut einhundert Jahren entstandene »Jul, jul, strålande jul« von Gustaf Nordqvist, das zum Abschluß gehörte, ist ein Beispiel, das Nachfolger fand.

Die Zugabe sorgte für einen Brückenschlag ins 15. Jahrhundert: »In dulci jubilo«, einer der bekanntesten Weihnachtstitel, wird Heinrich Seuse (Text) und Peter von Dresden (Musik) zugeschrieben.

15. Dezember 2022, Wolfram Quellmalz

Der dresdner motettenchor wirkt am 23. Dezember an der 30. Weihnachtliche Vesper vor der Frauenkirche mit (Beginn: 17:00 Uhr). Im kommenden Jahr ist er unter anderem gleich zweimal in der Kreuzkirche zu erleben (Vesper am 25. März sowie mit Antonín Dvořáks Stabat mater am 2. April).

http://www.dresdner-motettenchor.de/

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