Tugan Sokhiev und die Sächsische Staatskapelle präsentierten im Sinfoniekonzert bildhafte Werke
Werke der aktuellen Capell-Compositrice der Sächsischen Staatskapelle, Olga Neuwirth, sind in dieser Spielzeit gerade dreimal zu erleben (darunter allerdings ein großes Portraitkonzert). Mit der Deutschen Erstaufführung von »Dreydl« begann dieser Zyklus am Sonntagvormittag in der Semperoper. Das Wort bzw. der Titel leitet sich vom jiddischen Begriff für »Kreisel« ab. Ostinate Figuren sind dem Werk immanent, doch es »kreiselt« nicht nur auf der Stelle, sondern zieht weite Bahnen.

Yefim Bronfman (Klavier) und Tugan Sokhiev (Dirigent) im fünften Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle Dresden, Photo: © Markenfotografie
Zunächst schien es, als habe jemand den Boléro auf den Kopf gestellt oder führe ihn »von hinten« auf. Über die Schlagwerke schlich er sich herein, erfaßte die Bläser und schließlich die Streicher, um sich sodann in verschiedenen Gruppen und Kombinationen fortzupflanzen – immer neu angeregt, wurde bald klar, daß es sich hier nicht (nur) um ein lustiges Kinderspielzeug »dreht«, sondern Verunsicherung, Fragilität und Umbrüche oder die Gefahr von all dem musikalisch dargestellt werden. Dabei hat die Komponistin – wie Maurice Ravel – weniger auf einzelne Soli gesetzt, sondern inclusive exotischer Instrumente (Altsaxophon, e-Gitarre, elektronische Orgel) einen Klang amalgamieret, der vom Orchester mit viel Spannung aufbereitet wurde. Denn anders als manche zeitgenössische Komposition, bei der man sich fragt, wohin sie sich denn wendet, konnte man hier beobachten, was und wo es passiert. Diese Wandlungsfähigkeit ließ staunen! Ob es – angesichts der »windschiefen« Harmonien – gefällt, ist natürlich eine andere Frage. Im Parkett machte sich ein Besucher mit dem Kommentar »Oh Gott, oh Gott« Luft, doch mit etwas Neugier konnte man Spaß an diesem musikalischen Spiel haben.
Es geschah auch erst im folgenden Stück – harmonisch keineswegs fragwürdig – daß ein Hörgerät recht lang und laut kollabierte, wie bedauerlicherweise immer wieder Handys (oder immer das eine?) störten, selbst mitten in der Kadenz. Wolfgang Amadé Mozarts Klavierkonzert Nr. 22 (KV 482) konnte dies jedoch nicht wirklich bremsen. Yefim Bronfman bewies, daß er von seiner leichtfüßig- bzw. -händigkeit kein Jota verloren hat, die Staatskapelle umschmiegte ihn gediegen und mit pointiertem Baß, dazu gab das Fagott (Philipp Zeller) dem Pianisten musikalisch »contra«. Yefim Bronfman zeigte sich nicht nur mit exquisit gewählten Kadenzen (eine von Paul Badura-Skoda sowie einer eigenen) von seiner besten Seite, das Andante (Mittelsatz) glich über weite Strecken einer Klaviersonate, enthielt aber auch eine herrliche, an eine Harmoniemusik erinnernde Bläservariation. Der Beginn des dritten Satzes wiederum gehört zu den schönsten »Aufschwüngen«, den Mozart geschrieben hat. Das Werk braucht keinerlei Überhöhung, weil es (vermutlich) kurz vor einem Weihnachtsfest uraufgeführt wurde. Es verband schlicht Gediegenheit mit Perlenglanz und ließ die Besucher verzückt zurück.
Glücklicherweise kehrte Yefim Bronfman noch einmal für eine Zugabe zurück, Chopins Nocturne Opus 27 Nr. 2 – jetzt müßte man nur wissen, wann der Pianist einmal für einen ganzen Klavierabend nach Dresden kommt.
Mit Nikolai Rimski-Korsakow Suite »Scheherazade« fanden die bildhaften Werke ihre Fortsetzung, wobei die Palette von wuchtig bis Pastell reichte. Während Olga Neuwirth dem Kreisel noch Winterbilder wie Schneeflocken vor dem Fenster präsentierte, durften sich nun Bilder aus Tausendundeiner Nacht tummeln. Konzertmeister Matthias Wollong und Harfenistin Astrid von Brück leiteten immer wieder als Erzählerduo über, Norbert Anger spendierte immer wieder seinen sonoren Celloklang, dazwischen förderte Tugan Sokhiev aus den rhythmischen Zutaten wunderbare Ballettmusik zutage – nicht nur bilderreich, auch beweglich und flexibel!
19. Dezember 2022, Wolfram Quellmalz
Das Konzert wurde aufgezeichnet und morgen (22. Dezember) sowie am 20. Januar auf MDR Kultur ausgestrahlt.Weitere Konzerte mit Werken von Capell-Compositrice Olga Neuwirth: 19. April, Portraitkonzert, Festspielhaus Hellerau, 9., 10. und 11. Juli 2023: 12. Sinfoniekonzert