Sigfrid Karg-Elert als Inspiration

Ruben Johannes Sturm in der Dresdner Kreuzkirche

Manche Musiker- oder Komponistennamen sind scheinbar mit einer spröden Modernität behaftet. Anders als Max Reger, der zu seinem Jubiläum einen großen Zuspruch erfährt, muß sein Zeitgenosse Sigfrid Karg-Elert immer noch erst entdeckt werden. Bei manchen sind sogar Vorbehalte gegenüber einer Modernität (die doch zu erkunden wäre) abzubauen. Domorganist Ruben Johannes Sturm (Dom zu Unserer Lieben Frau, die sogenannte »Frauenkirche« München), bot dazu gestern eine Möglichkeit im Rahmen des Dresdner Orgelzyklus‘. Dort stellte er Sigfrid Karg-Elert und Max Reger nicht nur als Antipoden dar, sondern wandte sich vor allem dem ersteren zu. Der Komponist war für den Domorganisten bereits mehrfach Inspiration gewesen – Farbigkeit und Ornamentik Karg-Elerts verglich Ruben Johannes Sturm mit jener des Impressionismus und Jugendstils. Der Vergleich trifft es in der Tat gut, schon deshalb, weil wir mit beiden Begriffen durchaus unterschiedliche Stile, Merkmale, Ausprägungen assoziieren – solche Komplexität zu erfahren, hinzuhören, lohnt also!

Ruben Johannes Sturm, Photo: privat

Und das tat es schon zum Vorabtermin »Unter der Stehlampe«, denn Ruben Johannes Sturm erwies sich als eloquenter, aufgeschlossener Gesprächspartner, der zu seinem Lebenslauf ebenso wie zu den Werken geläufig Auskunft geben konnte. Dabei fand sich – wie oft bei dieser Gelegenheit – staunenswertes. So erfuhren die Zuhörer, daß die Münchner Frauenkirche seit der Pandemie das digitale Angebot beibehalten hat: Es gibt täglich (mindestens) eine Veranstaltung (Vesper oder Hochamt oder auch Konzert), die »gestreamt« wird. Wegen der »ungünstigen Lage« (die Mietpreise in der Münchner Innenstadt sind enorm) gibt es wenige direkte Anwohner, die Gemeinde ist kleiner als mancher vermutet. Daraus folgt, daß einen Gottesdienst vor Ort manchmal nur 30 Gläubige besuchen, via Internet aber 3000 bis 4000 teilnehmen. Wobei man dieses »Teilnehmen« (nebenbei laufend?) durchaus kritisch sehen kann.

Vor allem ging es »Unter der Stehlampe« aber um den Komponisten, dem das Programm »Rund um Karg-Elert« gewidmet war. Ruben Johannes Sturm hob hervor, wie ihn die Farbig- und Bildhaftigkeit der Werke, die Stimmung, beeindruckt und – wiewohl kein dezidierter Komponist – als Studenten zu eigenen Werken angeregt hatte. Selbst der Klang einer Kinoorgel hatte es Sigfrid Karg-Elert angetan – was man da wohl erwarten konnte?

Eben erstaunliches! Denn selbst eine Kinoorgel kann man rein instrumental auffassen (so wie Antonín Dvořák für seine Bagatellen Opus 47 ein Harmonium vorgesehen hat – auch kein ausgesprochen »konzertantes« Instrument), sich vom Film- oder Kinokontext lösen.

Zunächst erklang aber das Finale alla solfeggio aus der Partita Retrospettiva Opus 151. Es gab schillernd die angekündigte Chromatik preis, spielte mit dem Fernwerk und Klangeffekte, schien sich außerdem der Moderne zu öffnen – im Film hätte dies eine »Weltraummusik« sein können. Später folgten stimmungsvolle Bildbeschreibungen, »Der gespiegelte Mond« aus den »Sieben Bildern vom Bodensee« Opus 96 sowie das Stück oben genannte für die Kinoorgel: »Valse mignonne«, eine von drei Impressionen (Opus 142).

Das Konzert war überwiegend von Stimmungen geprägt, ganz unterschiedlichen, aber auch von unterschiedlichen Auffassungen der gleichen »Bilder«. Ruben Johannes Sturm hatte einerseits eine Art »Leipziger Orgelschule« zusammengestellt, zu der neben Reger (Invocation, Grave con duolo, doch nicht schleppend aus der zweiten Orgelsonate) die Komponisten Fritz Lubrich jun. und Karl Hoyer zählten – beide gehörten zur Schülergeneration. Einzelne Teile aus Werken zu entnehmen, störte hier einmal gar nicht, denn es verdichtete die »Stimmungslage« nur. Und immer wieder gab es Betrachtungen von verschiedenen Seiten, wie den Choral »Austiefer Not schrei ich zu Dir«. Karl Hoyer hatte ein Choralvorspiel dazu geschrieben, er war zudem in den drei Psalmimpressionen »Hommage to Karg Elert« von Ruben Johannes Sturm enthalten.

Eine der großer Stärken des Domorganisten liegt durchaus im Ersinnen, auch wenn er nicht oder wenig komponiert. Wozu auch, fragte man sich nach seiner abschließenden Improvisation über Themen Sigfrid Karg-Elerts. Erstaunlich war der Erfindungsreichtum darin, die freie Entfaltung und Themenverarbeitung, aber nicht weniger die Spiegelung verschiedener Techniken, wie sie schon Sigfrid Karg-Elert angewandt hatte. Manches klang beinahe, als wäre es elektronisch erzeugt.

3. März 2023, Wolfram Quellmalz

Am kommenden Mittwoch sorgt Domorganist Sebastian Freitag für einen Zeitsprung: auf der Silbermannorgel der Hofkirche (Kathedrale) spielt er moderne Werke von Basil Harwood, Franz Schmidt, Anton Heiler und Jean Françaix. Eine Woche später stehen Max Reger, seine Weggefährten, Schüler und Antipoden auf dem Programm von Johannes Matthias Michel in der Frauenkirche – hier gibt es ein Wiederhören mit Sigfrid Karg-Elert. Am 22. März dreht Thorsten Ahlrichs dann sozusagen den Spieß um und bringt Werke Barocker Meister in der Kreuzkirche zu Gehör. Alle Termine und Programme des Dresdner Orgelzyklus‘ finden Sie hier:

http://www.kreuzkirche-dresden.de/musik/orgeln-und-kreuzorganisten/dresdner-orgelzyklus-konzerte-2023.html

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