Gebremste Leidenschaft

Landesbühnen Sachsen bringen Mozarts »Don Giovanni« auf die Bühne

Operndirektorin Kai Anne Schuhmacher stellt den Mozart-Da-Ponte-Klassiker »Don Giovanni« zwar nicht auf den Kopf, aber doch in Frage, wenn sie die Geschichte des Lebemanns, Charmeurs, Frauenhelden oder »Wüstling« (Originaltitel: »Der bestrafte Wüstling oder Don Giovanni«) retrospektiv erzählt – aus der Sicht des »Helden«. Zwar gibt es durchaus verschiedene Lesarten des Stoffes, unter anderem von Molière, Carlo Goldoni und Christoph Willibald Gluck, doch gelang dem genialen Duo Wolfgang Amadé Mozart und Lorenzo Da Ponte nicht nur die populärste Fassung, sondern wohl auch die beste Erzählung. (Also eigentlich umgekehrt, denn das eine bedingt schließlich das andere.) Vor allem: Der Wüstling, der wollüstige, völlerische, rücksichtslose, ruchlose, ausschweifende, egoistische […] muß doch bestraft werden! Fährt er nicht zu Recht zur Hölle? Nur: wie kann er dann [uns] Jahre später von seinem Leben, seinen Ausschweifungen erzählen? Das scheint nicht aufzugehen, selbst wenn man Verständnis für Don Giovanni hat (man sagt, er allein verstünde die Frauen und ihre Bedürfnisse) oder wenn man – theoretisch! – annimmt, unsere Welt wäre genau jene Hölle, in die Don Giovanni gestoßen sei, also wäre er unter uns und könnte erzählen. Oder hat die Regisseurin schlicht Don Giovanni mit Casanova verwechselt?

DAS STÜCK

Als Don Giovanni beim Versuch, Donna Anna zu verführen, gestellt wird, tötet er ihren Vater, den Komtur, im Zweikampf. Donna Annas Verlobter, Don Ottavio, schwört Rache. Auch Donna Elvira schwört dies: Don Giovanni, der sie bereits einmal verführt hatte, schiebt sie ab – seinem Diener Leporello in die Arme, der sie zu trösten versucht.

Don Giovanni (Johannes Wollrab) drängt sich zwischen Masetto und Zerlina, Photo: Landesbühnen Sachsen, © Carsten Beier

Als wäre dies nicht genug, drängt sich Don Giovanni zwischen Masetto und Zerlina, die gerade heiraten wollen – der Kerl macht sich wahrlich unbeliebt! Kein Wunder, daß Don Giovanni in Bedrängnis gerät, als ihn die Gesellschaft stellt. Er flieht, Leporello muß mit, verliert aber langsam den Spaß an den Ausschweifungen seines Herrn.

Von Einsicht, Läuterung oder einem Wandel des Lebens kann bei Don Giovanni keine Rede sein. Im Gegenteil: er höhnt frech vor der Statue des Komturs, lädt ihn zum Essen ein. Noch als die Statue tatsächlich erscheint, der steinerne Komtur Don Giovanni zur Reue auffordert, lehnt er ab, will sein Leben nicht ändern – das bezahlt er mit einem Höllensturz.

DIE INSZENIERUNG

Kai Anne Schuhmacher läßt Don Giovanni als alten Mann in einem Foyer sitzen, in einem Hotel (oder einem Altenheim?) erlebt er im Sessel, mit einer wärmenden Decke über den Knien, noch einmal seine Lebensgeschichte, scheint zu staunen, manchmal ungläubig. Die kleine Bühne ist oft voller Menschen in bunten Kostümen (Ausstattung: Lisa Däßler), nicht immer ist dies schlüssig, warum so grell, bunt, kitschig, knapp? Es gibt zu viele Statisten, zu viel Pistolengewedel, Dafne (oder Melusine?) scheint über die Bühne zu laufen, Frau Welt ist es bei Kai Anne Schuhmacher die richtende Instanz. Das enthält, jeweils allein betrachtet, oft einen Kern Wahrheit, Glaubhaftigkeit oder zumindest (Deutungs)möglichkeit, nur macht die Möglichkeit noch keine Handlung aus. Und auch die Umgebung wirkt eher statisch als belebend. Während zunächst die Türen des Hotelfahrstuhls noch den Effekt plötzlichen Auftauchens erlauben, wird das Foyer, also der Projektionsraum des alten Don Giovanni, bald eintönig – es kann die wahren Orte der Handlung nicht ersetzen.

Symptomatisch: Don Giovanni hat bei Kai Anne Schuhmacher eine Bier- statt einer Champagnerflasche in der Hand, Photo: Landesbühnen Sachsen, © Carsten Beier

DIE AUFFÜHRUNG

Und das scheint auch das Ensemble zu bremsen. Wiewohl handwerklich sauber und befriedigend, vom Dirigat (an diesem Nachmittag Sungjin Kim) über die Solisten, die Elbland Philharmonie Sachsen und den Opernchor der Landesbühnen Sachsen, fehlt der Szene die szenische Authentizität. Selbst zwischen herausragenden Solisten wie Paul Gukhoe Song (als Leporello ein bißchen der Star des Abends), Johannes Wollrab (Don Giovanni), Anna Erxleben (Donna Anna) und Marie-Audrey Schatz (Donna Elvira) scheint es nicht zu »funken«. Warum nur? Immer wieder fallen einzelne Sänger auf, (außerdem Florian Neubauer als Don Ottavio, Do-Heon Kim als Masetto und Ylva Gruen als Zerlina), doch die Stimmung ist gebremst, die Atmosphäre fehlt. Weil zwischen den Akteuren keine Spannung aufkommt, treffen auch die Spitzen nicht – ein Fehler, der wohl im Konzept liegt. Schließlich will man doch mehr, als daß es nur »hübsch« ist, und eine Champagnerarie, also nicht nur die Arie, die SZENE, sollte funkeln! Zumindest an diesem Nachmittag gibt es den üblichen Szenenapplaus jedenfalls an keiner Stelle.

Masetto (Doheon Kim) und Zerlina (Ylva Gruen), Photo: Landesbühnen Sachsen, © Carsten Beier

Da helfen die tatsächlich schönen Arien oder Duette nicht mehr, das Publikum wachzurütteln oder zu verzaubern. »Là ci darem la mano«, von Johannes Wollrab und einer teils betörenden Ylva Gruen wunderbar herausgeputzt oder Paul Gukhoe Songs treffsichere Registerarie gehören zu den Glanzpunkten der Aufführung, die musikalisch auch mit kleinen instrumentalen Ingredienzen aufwarten kann. Ein Streichquartett und vor allem Don Giovannis Begleiterin (und Instrument des Jahres), die Mandoline, schmücken durchaus – und sind musikalisch Folgerichtig. Eine Folgerichtigkeit, die der Szene sonst fehlt. Eindrucksvoll ist das Ende mit Johannes Stermann, der nicht nur den alten Don Giovanni (meist stumm) darstellt, sondern am Ende dem Komtur seine Stimme leiht. Jedoch – wäre da nicht mehr möglich gewesen?

7. März 2023, Wolfram Quellmalz

Wieder am 11. und 31. März sowie am 15. April: Wolfgang Amadé Mozart »Don Giovanni«, Landesbühnen Sachsen, Radebeul, auch zu Gast in der Lausitzhalle Hoyerswerda (22. März), im Kulturzentrum Großenhain (26. März) und am König Albert Theater Bad Elster (10. April)

http://www.landesbuehnen-sachsen.de

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