Kathryn Lewek erobert die Semperoper mit fulminanter »Königin der Nacht«
Die »Zauberflöte« der Semperoper ist beinahe unbemerkt ins Repertoire gerutscht – zur Premiere im Herbst 2020 kam sie nur als gekürzte Pandemiefassung auf die Bühne, dabei blieb es nach dem Wiederbeginn noch lange Zeit. Mittlerweile läuft Josef E. Köpplingers Inszenierung jedoch ungekürzt und ist etabliert – schließlich wird kein Stück öfter gespielt als Wolfgang Amadé Mozarts und Emanuel Schikaneders Meisterwerk. Am Freitag und Sonntag fanden bereits die 36., 37. und 38. Aufführung der »Zauberflöte« statt. So häufige Termine erfordern eine flexible Besetzung und laden ein, Lücken mit Gästen aufzufüllen oder Sängern ein Haus- bzw. Rollendebut zu bieten. Nach Maria Perlt-Gärtner von der Staatsoperette im Herbst (wieder im Mai zu erleben) kam jetzt Kathryn Lewek nach Dresden. Sie hat die Königin der Nacht weltweit bereits über 300 Mal verkörpert, an der MET in New York, dem Royal Opera House London, der Wiener und der Bayerischen Staatsoper. Nun also auch hier. Und übertraf die Erwartungen.

Kathryn Lewek, Photo: © Kathryn Lewek
Das Regieteam (Bühnenbild: Walter Vogelweider, Kostüme: Dagmar Morell, Choreographie: Ricarda Regina Ludigkeit) stellt das Stück familientauglich als Märchen dar, dabei darf auch einmal gelacht werden (Mozart hätte es sicher gefallen). Nicht immer jedoch ist der Ansatz schlüssig oder offenbart sich leicht. Neben fabelhaften Tieren (Schlange, Vogel) gibt es viele Lichtschnüre und Leuchten, die in symbolträchtigen Farben aufglimmen, immer wieder wird das Leitmotiv »Vernunft, Natur, Weisheit« eingeblendet, das Saallicht geht hin und wieder an und bezieht das Publikum ein (»Bekämen doch die Lügner alle ein solches Schloß vor ihren Mund«). Dennoch scheint manches unter Niveau – wenn der anfangs verzagte Tamino (kurzfristig eingesprungen: Mauro Peter) im Holzfällerhemd daherkommt, wirkt das wenig prinzenhaft, sondern eher wie ein zweiter Papageno – und schon dessen Rolle (Ilya Silchuk) ist albern angelegt. Papagenos Weinflaschen sehen ein wenig nach Arznei aus – man fragt sich, was er nimmt.
Während Mauro Peter in der Bildnisarie noch Taminos Verzagtheit abstreifen mußte und erst nach und nach an Vitalität gewann, schien auch Tilmann Rönnebeck als Sarastro eher harmlos. Zwar paßte die edle Baßlage gut zum überlegten Herrscher, der andere erleuchten mag – es fehlte ihm an diesem Abend indes an Volumen. Vor allem, wenn Tilmann Rönnebeck weiter hinten auf der Bühne stand, klang er leise, vermißte man die Präsenz. Und das um so mehr, weil der Kontrast zu Kathryn Lewek so groß war.
Die hatte als Königin der Nacht nur wenige Auftritte. »Effektiv« könnte man es nennen – ist es aber nicht! Denn bei so wenig Gelegenheit, in die Rolle zu schlüpfen, wächst nicht zuletzt das Risiko. Die Rachearie ist überhaupt fies: Zu leicht kann es in der Anspannung passieren, daß sie falsch angesetzt wird. Wenn der Atemrhythmus einmal nicht stimmt, ist die Sopranistin nahezu hoffnungslos verloren. Nicht so Kathryn Lewek! Sie machte schon aus dem ersten Auftritt einen Höhepunkt, obwohl hier das Koloraturfunkeln nur angedeutet wird. »Oh zittre nicht, mein lieber Sohn!« stattete sie nicht nur mit unwiderstehlicher Strahlkraft aus, sie belebte die Mutterrolle mit einem phantastischen Timbre.
Und das wußte sie noch steigern. »Der Hölle Rache« schleuderte sie so glas- oder eisklar in den Raum, das es einen im Innersten traf. Unwillkürlich drängte sich die Frage auf (das ist jetzt keine Aufforderung ans Regietheater): Was, wenn sie, diese kraftvolle und zielbewußte Frau, die Oberhand behielte? Wenn sie erhört würde (»Hört, hört, hört, Rachegötter!«)? Wie ginge die Geschichte dann aus?
Diesmal ging es noch gut, wenn auch – vielleicht – knapp. Dirigent Gábor Káli ordnete die Stimmen souverän, konnte sich auf den von Jonathan Becker vorbereiteten Staatsopernchor hervorragend verlassen (Chor der Priester »Oh Isis und Osiris«). Das Orchester war – die Sächsische Staatskapelle befand sich nach ihrer Gastspielreise auf dem Rückflug – mit zahlreichen Gästen aufgefüllt, der Eindruck daher nicht so geschlossen und präzise wie gewohnt. Doch Tamino wuchs an seinen Aufgaben und bestand alle Proben, war »standhaft, duldsam und verschwiegen«. Drei Chorknaben (Valentin Seifert, Kai Hoffmann und Levi Böhm vom Dresdner Kreuzchor) halfen ihm tatkräftig und erwarben sich einen Publikumsbonus.
11. März 2023, Wolfram Quellmalz
Sächsische Staatsoper: Wolfgang Amadé Mozart »Die Zauberflöte«, Vorstellungen wieder im Mai